"Der Brutalist": Epische Dekonstruktion des amerikanischen Traums

Stand: 03.03.2025 07:45 Uhr

Mit zehn Oscar-Nominierungen gehörte "Der Brutalist" zu den Favoriten bei den Oscars. Das Drama über Architektur, Design und Kapitalismus gewann in drei Kategorien. Adrien Brody wurde als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet.

von Bettina Dunkel, BR

Die Welt steht Kopf, als László Tóth (Adrien Brody) die USA erreicht. Die Freiheitsstatue, Symbol der Hoffnung, richtet ihre Fackel nicht in die Höhe, sondern schräg nach unten. Erst als der müde und ausgezehrte Immigrant im Gedränge des überfüllten Passagierschiffs seinen Blick fokussiert, ist die Ordnung wieder hergestellt, der sichere Hafen von New York City in greifbarer Nähe. Der Schrecken des Zweiten Weltkriegs liegt hinter dem Holocaust-Überlebenden. Ein neues Leben wartet auf ihn.

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"Der Brutalist": Drama über Architektur, Design und Kapitalismus

Viel wurde gesprochen und geschrieben über "Der Brutalist", dieses allein schon aufgrund seiner Länge von dreieinhalb Stunden monumentale Drama von US-Regisseur Brady Corbet. Wirklich greifen lässt sich diese epische Dekonstruktion des amerikanischen Traums aber nur im Kino. Denn "Der Brutalist" ist ein Gesamtkunstwerk, gefilmt im von Hitchcock bevorzugten Breitwandformat VistaVision. Untermalt von einem Soundtrack, der so minimalistisch wie gewaltig ist. Und versehen mit einer Bildsprache, in der offensichtliche Symbole und kleinste Details der Komplexität der Themen noch mehr Tiefe geben - sei es eine das halbe Bild einnehmende Asphaltstraße, die ins scheinbar gelobte Land führt oder ein verunglückter Gütertransport, der in einer Rauchwolke verschwindet, die an Konzentrationslager erinnert.

Wer diesen faszinierenden, aber nicht immer einfachen Exkurs über Architektur, Design, Kapitalismus und den Horror eines erzwungenen Neuanfangs aufgesogen hat, versteht schnell, warum Corbet und seine Partnerin Mona Fastvold mehrere Jahre benötigt haben, um das Projekt zu realisieren.

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Ein Teufelskreis aus Neid und Missgunst

Zentrale Figur des Films ist der titelgebende Brutalist László Tóth, ein aus Ungarn stammender Architekt und Bauhaus-Schüler. Der fiktive Charakter basiert lose auf Marcel Breuer, der unter anderem das Whitney-Museum in der Upper West Side von Manhattan gebaut hat. Doch im Gegensatz zu Breuer hat niemand auf László gewartet - zumindest niemand mit Einfluss. Mit seinem Cousin, bei dem er anfangs leben und arbeiten kann, kommt es früh zum Zerwürfnis. László muss sich als Hilfsarbeiter verdingen, bis ihn der Unternehmer Harrison Lee Van Buren engagiert. Auf einem Hügel seines Anwesens in Pennsylvania will der Provinz-"Citizen Kane" ein Institut errichten - vorgeblich zu Ehren seiner verstorbenen Mutter, tatsächlich aber als weithin sichtbare Machtdemonstration, erbaut im Stil des Brutalismus, dessen kalte Sichtbeton-Struktur für ihn Härte und Stärke symbolisieren.

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Der amerikanische Traum, er scheint plötzlich auch für den jeglicher Illusionen beraubten László in Erfüllung zu gehen. Zu spät merkt er, dass er in einen Teufelskreis aus Neid und Missgunst geraten ist und wie zuvor schon von seinem Cousin ausgenutzt und kontrolliert wird. Doch weil er in einem Abhängigkeitsverhältnis steckt und mit dem Gebäude eigene Pläne verfolgt, erträgt er die schlimmsten Demütigungen. Einzige Stütze ist seine zwischenzeitlich ebenfalls in die USA emigrierte Frau.

Ein atemberaubendes Meisterwerk

"Der Brutalist" ist nicht nur ungewöhnlich, sondern oft atemberaubend. Wie seine Hauptfigur verfolgt Regisseur Brady Corbet unbeirrt sein Ziel. Schicht für Schicht errichtet er ein Meisterwerk, das während der Erschließung labyrinthartig erscheint, in der Draufsicht jedoch seine klare Struktur offenbart. Die finale Aussage manifestiert sich entsprechend im letzten Satz einer Rede am Ende des Films und steht wie ein Ausrufezeichen im Raum: nüchtern und unmissverständlich.

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Der Brutalist

Genre:
Drama
Produktionsjahr:
2024
Produktionsland:
Vereinigtes Königreich, USA, Ungarn
Zusatzinfo:
Mit Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce und anderen
Regie:
Brady Corbet
Länge:
215 Minuten
FSK:
ab 16 Jahren
Kinostart:
30. Januar 2025

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NDR Info | Kultur | 29.01.2025 | 06:20 Uhr

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