Porträt von Bernhard Hoetger © picture alliance/dpa/Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) | -

Bernhard Hoetger: Vermeintlich widersprüchlich?

Stand: 25.07.2024 16:17 Uhr

Bernhard Hoetger verehrte Adolf Hitler, war Mitglied der NSDAP und wurde dennoch von Hitler 1936 als "entartet" diffamiert. Aktuell wird der Künstler in mehreren Ausstellungen in Worpswede gewürdigt. Diese Woche läuft außerdem ein Kinofilm über ihn an.

von Anette Schneider

Bernhard Hoetger war ein Künstler der Avantgarde. Und: Er war ein künstlerisch-widersprüchlicher Mann, der in keine Schublade passt. Diese Lesart hält sich seit Jahrzehnten; der neue Film schreibt sie ein weiteres Mal fest. Begründet wird dies damit, dass Hoetger bis Ende der 1930er-Jahre Skulpturen, eine Gartenanlage, Architektur und Denkmale in unterschiedlichen Stilen und für teils gegensätzliche Auftraggeber entwirft: Mal schafft er ein Denkmal für ermordete, revolutionäre Arbeiter - dann eines für einen mörderischen preußischen General. Mal nutzt er impressionistische, mal buddhistisch beeinflusste oder expressionistische Formen.

Bernhard Hoetger-Diskurs: Eine grundsätzliche Begriffsverwirrung

All das klingt wirklich ziemlich widersprüchlich. Doch Arie Hartog, Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses in Bremen, der sich seit Jahren mit Hoetger beschäftigt, kann über dieses Bild nur müde lächeln: "Wir reden über eine grundsätzliche Begriffsverwirrung." Schon führt der Kunstwissenschaftler vor, wie schnell sich die hartnäckig beschworenen Widersprüche in Person und Werk Hoetgers auflösen lassen: "Bernhard Hoetger ist ein typischer Exponent des späten 19. Jahrhunderts, wo Stile benutzt werden, um unterschiedliche Inhalte zu vermitteln. Wenn Sie eine Kirche machen wollen, machen Sie Gotik; wenn Sie ein Parlament machen, nehmen Sie griechisch und so weiter. Aus dieser Denke heraus - einer Denke des späten 19. Jahrhunderts und nicht der Moderne - kommt Hoetger mit einer Reihe von inhaltlichen Ansprüchen. Dafür findet er jeweils eine Form, indem er shoppen geht in der Kunstgeschichte."

Weitere Informationen
Drei Personen schauen auf ein Gemälde auf einer Staffelei © Kinescope Film

"Bernhard Hoetger - Zwischen den Welten": Biopic über ein Künstlerchamäleon

Bernhard Hoetger war ein Künstler voller Widersprüche, erst zählte er zur Pariser Avantgarde, später biederte er sich bei den Nazis an. mehr

Am Markt orientierte Kunst

Zwischen 1900 und 1907 lebt Hoetger in Paris. Er kennt Picasso, Bracque, Matisse, van Gogh - die junge Avantgarde also, die die alten Kunstvorstellungen zertrümmert und kompromisslos um radikal neue Ausdrucksformen ringt. Hoetger orientiert sich dagegen an dem bereits etablierten Rodin und schafft impressionistisch-bewegte Skulpturen, darunter 20 bis 30 Zentimeter kleine Arbeiterfiguren in extremen Körperhaltungen, die als Schmuck für bürgerliche Salons entstanden. "Das ist eine sehr stark an der Nachfrage auf dem Markt orientierte Bildhauerei", erzählt Arie Hartog. "Hoetger ist auch darin noch dem 19. [Jahrhundert] verhaftet und macht etwas für Aufträge, für den Kontext, wo er erwartet, dass er Erfolg haben wird. Die Tatsache, dass er dafür auch moderne Formen benutzt, hat zu diesem Missverständnis geführt, dass man damit auch aus ihm einen modernen Künstler gemacht hat."

So schnell lassen sich vermeintliche Widersprüche lösen - wenn man nur will. Doch bei Hoetger wollen viele nicht, obwohl so vieles schon lange bekannt ist: seine Haltung etwa, die mit esoterischen Ideen begann und bei der Verherrlichung Hitlers endete. Oder das Netzwerk, in dem er sich bewegt: Seit Paris fördern ihn Bankiers, völkisch-nationalistische Politiker und Fabrikanten. Sein größter Gönner: der Bremer Fabrikant und Kaffeehändler Roselius, seit 1917 Vertreter germanischer Rassegedanken, nach 1933 förderndes Mitglied der SS. Er beauftragt Hoetger mit Teilen der Böttcherstraße, die seine germanischen Ideen spiegeln soll.

AUDIO: Der Stichtag: 150. Geburtstag des Kaffee-Unternehmers Roselius (4 Min)

"Hoetger würde jetzt mit Aluminiumhelm herumlaufen"

Hoetger setzt das um in einer verwinkelten, kleinteiligen Architektur. Weil die den Faschisten missfällt, schafft er 1937 noch ein goldenes Relief für den Eingang zur Gasse: den "Lichtbringer", eine vom Himmel nieder fahrende Gestalt mit Schwert. Arie Hartog sieht darin ein Symbol für die Wintersonnenwende und damit die Festschreibung urgermanischer Ideen: "Hoetger war der Meinung, dass diese Urreligion sich irgendwo hier im Norden gehalten habe. Das ist natürlich völliger Stuss. Hoetger wäre jemand, der jetzt mit Aluminiumhelm herumlaufen würde."

Trotz der Aufklärungsarbeit einiger weniger und obwohl seit 1989 eine Dissertation alle wichtigen Quellen über Hoetger, sein Denken und seine völkisch-nationalistischen Netzwerke zugänglich macht, hält sich das Bild vom vermeintlich modernen, widersprüchlichen Künstler noch immer. Selbst in Bremer Museen. Der Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses hat dafür eine Erklärung, die den aktuellen Kulturbetrieb in einem bösen Licht erscheinen lässt: "Unter den heutigen Bedingungen des Kulturmarketings müssen sie Hoetger als Avantgardisten vermarkten und nicht zu sehr über seine Zusammenhänge mit der NSDAP und seinem völkischen Gedankengut. Das ist der heutige Mechanismus des Kulturbetriebs, bei dem Kritik langsam völlig untergeht."

Weitere Informationen
Expressionistisches Backstein-Gebäude in Worpswede © picture alliance/imageBROKER Foto: Daniel Schoenen

Worpswede: Künstlerdorf am Teufelsmoor

Museen, Ateliers und Galerien prägen den Ort bei Bremen. Namhafte Künstler haben dort ihre Spuren hinterlassen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Nachmittag | 25.07.2024 | 14:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Bildhauerei

Ausstellungen

Ein leerer Bilderahmen hinter Polizei-Absperrband. © NDR Foto: Foto: [M] Aleksandr Golubev | istockphoto, David Wall | Planpicture

Kunstverbrechen - True Crime meets Kultur

Lenore Lötsch und Torben Steenbuck rollen spektakuläre Kunstdiebstähle auf. Sie nehmen uns mit an Tatorte, treffen Zeugen und Experten. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Charlie Hübner sitzt an einem Tisch. © Thomas Aurin

Charly Hübner als wandelbarer Antiheld in "Late Night Hamlet"

Munteres Late Night Geplauder trifft auf Shakespeare-Drama - so das Setting für den Solo-Abend im Schauspielhaus Hamburg. mehr