"Bernhard Hoetger - Zwischen den Welten": Biopic über ein Künstlerchamäleon
Bernhard Hoetger war ein Künstler voller Widersprüche, erst zählte er zur Pariser Avantgarde, später biederte er sich bei den Nazis an - ohne Erfolg. Der Film "Bernhard Hoetger - Zwischen den Welten" wirft einen Blick auf einen kontroversen Künstler.
So vergessen, wie der Name Hoetger heute weitgehend ist, glaubt man kaum, dass er Anfang des 20. Jahrhunderts zur Pariser Avantgarde gehörte - mit Berühmtheiten wie Rodin und Picasso. Im Jahr 1900 reist Hoetger als Kunststudent zur Weltausstellung - und bleibt vor lauter Begeisterung.
"Was machen Sie in Paris?"
"Ich bin Künstler, Bildhauer. Ich habe auch schon kleine Arbeiten verkaufen können, aber es reicht nicht, um zu leben und zu arbeiten."
Filmausschnitt
Bald aber finden sich Förderer, die von Hoetgers kraftvollen Skulpturen begeistert sind. Sie zeigen radikal Neues: schwer schuftende Arbeiter, Menschen von der Straße.
"Es ging mir um das wahre Leben, das Leben, das ich auf den Straßen von Paris sah. Es ging mir darum, hinter der plastischen Figur ihr Wesen zu erfassen." Filmausschnitt
"Bernhard Hoetger - Zwischen den Welten": Erstaunlich natürlich
Hoetger, gespielt von Moritz Führmann, spricht im Film - wie alle historischen Figuren - nur Texte, die Regisseurin Gabriele Rose für ihr Drehbuch aus Originalzitaten zusammengesetzt hat. Sie verbindet in ihrem Doku-Drama Spielszenen mit Archivmaterial, Experteninterviews und Bildern von Hoetgers Kunstwerken - so weit, so gewohnt. Sie setzt aber noch einen drauf, indem sie Weggefährten Hoetgers, von Schauspielern verkörpert, als Zeitzeugen befragt, was mit erstaunlicher Natürlichkeit gelingt. Paula Modersohn-Becker etwa wird von Katharina Stark zum Leben erweckt:
"Meine Heimat Worpswede war mir längst zu eng geworden, und so zog ich dann 1906 nach Paris. Und dort beschloss ich Hoetger aufzusuchen." Filmausschnitt
Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die Hoetger später auch nach Worpswede ziehen lässt. Für Hauptdarsteller Moritz Führmann begann die Arbeit am Film vor dem Bremer Rathaus, wo ihn die Regisseurin zu einem Spaziergang einlud: "Sie ist mit mir direkt in die Böttcherstraße. Im Paula Modersohn-Becker Museum haben wir in einem echten Hoetger-Möbel gesessen. Dann haben wir über diesen Menschen und den Künstler Hoetger gesprochen. So bin ich noch nie in eine Rolle eingetaucht. Das war ganz toll", schwärmt Führmann.
Schwer zu fassender Künstler
Führmann erzählt auch, mit welch ansteckender Begeisterung Regisseurin Gabriele Rose später am Set den Zeithintergrund erläuterte. Sie ist studierte Historikerin und stöbert für ihr Leben gern in Archiven. Sie fand in diesem Fall alte Tonbandaufnahmen mit Menschen, die Hoetger noch persönlich kannten: ein wertvoller Baustein für ihr komplexes Film-Mosaik.
"Bernhard Hoetger ist für mich eine wahnsinnig spannende Persönlichkeit, weil er sich in keine Schublade packen lässt. Der lässt sich auch keine Banderole rumpacken", sagt Gabriele Rose. "Der sucht für sich die ideale Ausdrucksform für das, was er gerne sagen möchte. Deswegen ist er auch so schwer zu fassen, weil er alles Mögliche macht, und irgendwie passt nichts zueinander."
Hoetger auf Identitätssuche
Immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten und Formen lässt sich der Künstler von fernen Kulturen und Religionen beeinflussen. Um so erstaunlicher, dass ihm später plötzlich der "nordische Weg" in der Kunst der einzig wahre scheint und er mit "germanischer Urkunst" den Nazis gefallen will. Aber auch das ordnet Gabriele Rose überzeugend in den Kontext der Zeit ein: "Bernhard Hoetger sucht letztendlich nach Identität, nach einem Sinn in einer Zeit, die all das nicht bietet - damals die Industrialisierung, die genau wie heute die Digitalisierung die gesamte Gesellschaft rumwirbelt", erklärt Rose. "Da ist Bernhard Hoetger sehr aktuell, weil er auch nicht unbedingt ein Parteiprogramm liest, weil er auch auf Worte reinfällt wie 'Deutschland wieder groß machen', die 'Entfremdung' wegnehmen - also all das, wo er denkt: Ja, genau, da ist auch eine deutsche Kunst drin."
Alles greift in diesem Film großartig ineinander und ergibt am Ende ein umfassendes, schlüssiges Bild dieses multibegabten Künstlerchamäleons. "Bernhard Hoetger - Zwischen den Welten" ist nicht nur ein Museumsfilm, der die aktuellen Ausstellungen zum 150. Geburtstag begleitet, sondern steht als Künstlerporträt im Kino auch absolut für sich.
Bernhard Hoetger - Zwischen den Welten
- Genre:
- Dokufiktion
- Produktionsjahr:
- 2024
- Produktionsland:
- Deutschland
- Zusatzinfo:
- Mit: Moritz Führmann, Katharina Stark, Florian Lukas, Esther Maria Pietsch, Clément Guyot, Ulrich Gebauer
- Regie:
- Gabriele Rose
- Länge:
- ca. 90 Minuten
- Kinostart:
- 25. Juli 2024