Verschiedene Zeitungen stecken in einem Zeitungsständer © picture alliance/dpa Foto: Annette Riedl

Gegen das Zeitungssterben: Konzentration aufs Lokale

Stand: 07.07.2023 10:10 Uhr

Die 1705 gegründete "Hildesheimer Allegemeine Zeitung" ist die älteste bestehende Tageszeitung Deutschlands. Ein großer Wert in Zeiten, in denen viele Zeitungen in der Krise stecken. Der stellvertretende Chefredakteur und Lokalchef der Zeitung, Christian Wolters, berichtet vom Erfolgsrezept des Blattes.

Was ist denn heute Ihr Aufmacher im Lokalteil?

Christian Wolters: In der gedruckten Ausgabe ist der Aufmacher ein Gerichtsbericht über einen jungen Mann, der mit zehn Kilo Haschisch im Gepäck erwischt worden ist und der jetzt vor Gericht stand. Aber das ist nicht die erfolgreichste Geschichte. In der geht es um etwas ganz anderes.

Nämlich? Oder verraten Sie das nicht?

Wolters: Doch, natürlich! In der erfolgreichsten Geschichte gestern ging es um die Frage, wie lange man eigentlich im Restaurant sitzen bleiben darf. Wie lange darf man sich an einer Tasse Kaffee aufhalten? Und müsste es nicht eigentlich ein Zeitlimit geben, was es in den USA schon gibt? Wir haben einfach die Frage diskutiert, ob das in Restaurants in Hildesheim auch gang und gäbe werden könnte. Weil die ersten Gastronomen kommen schon auf die Idee. Das ist unheimlich stark gelesen worden.

Reporterinnen und Reporter des Lokalteils waren also unterwegs in Hildesheim. Ist das die große Stärke einer Zeitung, die ja den Mantel von anderen Zeitungen übernimmt?

Wolters: Wir beziehen den Mantel vom Redaktionsnetzwerk Deutschland, aber wir konzentrieren uns hier in Hildesheim voll und ganz aufs Lokale. Unser digitales Portal ist vor ein paar Jahren komplett umgestellt worden. Wir verzichten auf überregionalen Nachrichten. Denn das finden die Leute anderswo. Wir konzentrieren uns auf das, was wir am besten können, nämlich dicht bei den Menschen und ihren Problemen hier zu sein.

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Ist es dadurch, dass man die große Bundespolitik beiseite lassen und bei den Menschen recherchieren kann, sogar ein bisschen besser geworden?

Wolters: Auf jeden Fall macht es das für uns leichter. Wir merken einfach, dass wir die Quelle sind, an die sich die Menschen wenden. Gerade Corona hat das gezeigt. Das war eine Phase, in der wir gemerkt haben, dass die Menschen wissen wollen, was sie dürfen. Was heißt das konkret für ihr Leben hier in der Stadt, in Hildesheim, in der Region? Da waren wir die wichtigste Quelle und haben die erfolgreichste Zeit in den letzten 20 Jahren gehabt, die ja eher von Problemen und wirtschaftlichem Druck gekennzeichnet war.

Spüren Sie denn Anzeichen einer Krise, gerade in Bezug auf die gedruckte Form?

Wolters: Das Thema Drucken ist uns relativ schnuppe. Uns geht es darum, die Menschen mit unseren Inhalten zu erreichen. Auf welchem Wege wir das tun, ob gedruckt oder übers Handy oder übers iPad, das ist uns erstmal egal. Wir bilden keine Ausnahme. Unsere gedruckte Auflage geht zurück, aber wir merken, dass wir nach wie vor sehr viele Menschen erreichen, nur eben jetzt auf anderen Wegen.

Also ist es eher eine romantische Vorstellung, dass Menschen morgens dasitzen und die Zeitung aufschlagen?

Wolters: Wir bevormunden natürlich keinen. Wir wissen, dass die Leute, die eine gedruckte Zeitung lesen und diese wollen, unglaublich treue Leserinnen und Leser sind. Die haben wir bis ins sehr hohe Alter. Für die ist das wichtig. Für mich auch. Ich bin 52. Ich habe meine gedruckten Zeitungen morgens auf dem Tisch liegen und ich brauche das auch - und ich will das auch. Aber wir wissen ganz genau, dass es Altersgruppen gibt, die wir mit einem gedruckten Produkt nicht mehr erreichen. Darauf haben wir vor ein paar Jahren reagiert.

Was glauben Sie, wie die Lokalzeitungslandschaft in fünf Jahren aussehen wird?

Wolters: Die wird sich weiter verändern. Es wird die Zeitungen geben, die die Herausforderungen annehmen und auch noch annehmen können, weil sie personell gut ausgestattet sind. Und dann wird es die geben, die solange noch weiterlaufen, bis es sich wirtschaftlich nicht mehr rechnet. Die aber jetzt auch nicht die Kraft haben, die Art der Inhalte zu ändern und die Art und Weise, wie sie sie aufbereiten.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 07.07.2023 | 08:15 Uhr

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