Aktivistin zur Elterngeld-Debatte: "Klassenkampf von oben"
Die Debatte über die Kappung beim Elterngeld konzentriert sich zu sehr auf diejenigen, denen es finanziell sehr gut geht, meint die Autorin Celsy Dehnert im Interview. Dies sorge dafür, dass Armut "medial unsichtbar" gemacht werde.
In der Politik wird über die Kürzung von Familienleistungen diskutiert. Ein Vorschlag, der dabei im Raum steht: Kein Elterngeld mehr für Familien, die mehr als 150.000 Euro im Jahr verdienen. Der Vorschlag wurde in der Öffentlichkeit stark kritisiert. Fragen an die Autorin und Aktivistin Celsy Dehnert, wie sie den aktuellen Diskurs bewertet.
Frau Dehnert, was läuft in Ihren Augen falsch bei der aktuellen Debatte ums Elterngeld?
Celsy Dehnert: In meinen Augen läuft in der aktuellen Debatte ums Elterngeld vor allen Dingen falsch, dass wir unseren Schwerpunkt in der Diskussion auf die völlig falsche Zielgruppe setzen. Denn wir reden so viel darüber, was Familien brauchen, die schon sowieso sehr viel Geld zur Verfügung haben - und sprechen dabei gar nicht darüber, dass die Kindergrundsicherung gerade de facto scheitert. Das heißt, im medialen Diskurs setzen wir den Schwerpunkt auf Familien, denen es sowieso sehr gut geht. Die Familien, denen es finanziell überhaupt nicht gut geht, fallen wieder hinten runter. Dabei können Familien mit vielen finanziellen Mitteln den Wegfall eines Elterngeldes im Zweifelsfall viel besser verkraften als Familien, die jetzt so dringend auf die Kindergrundsicherung gewartet haben. Letztere müssen jetzt damit leben, dass Christian Lindner de facto von zwölf Milliarden Euro nur 2 Milliarden zur Verfügung stellen will - und die auch noch in IT-Infrastruktur investiert statt in direkte Leistungen. Das heißt, wir zentrieren gerade den Bedarf derjenigen, denen es finanziell sehr gut geht - und machen uns damit ein Stück weit mitschuldig daran, dass finanzielle Not und Armut in diesem Land wieder einmal medial unsichtbar werden.
Warum handelt es sich in Ihren Augen um einen "Klassenkampf von oben"?
Dehnert: Ich spreche deshalb von Klassenkampf von oben, weil die Rhetorik, mit der jetzt diese Elterngeld-Kappung verhindert werden soll, tatsächlich spaltend ist. Die Petitions-Initiatorin, die sich dafür stark macht, dass auch Menschen mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 150.000 Euro weiterhin das Elterngeld bekommen sollen, spricht davon, dass das jetzt die leistungsbereite Mitte wäre, die da auf ihr Elterngeld verzichten soll. Sie spricht davon, dass es das Mark der Gesellschaft wäre, das davon getroffen werden würde.
Der Maurergeselle, die Altenpflegefachkraft, die Erzieherin in der Kita, die verdienen noch nicht mal die Hälfte von dem, was da jetzt an Einkommensobergrenze angelegt wird. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen in Deutschland beträgt 59.000 Euro im Jahr. Das heißt: Diejenigen, die jetzt auf ihr Elterngeld verzichten sollen, haben um etwa das Dreifache an Jahresbruttoeinkommen. In dem Augenblick, in dem sich jetzt diese sehr kleine Minderheit hinstellt und behauptet, sie wären der Motor, der dieses Land am Laufen halten würde, spalten sie die Gesellschaft. Sie spalten, weil sie damit die Arbeit, die Millionen von Menschen sehr hart jeden Tag leisten, abwerten. Denn sie tun so, als ob die Tatsache, dass ihr Job wesentlich besser vergütet wird, etwas über den Wert ihrer Arbeit aussagen würde. Dass das aber tatsächlich überhaupt nicht der Fall ist und dass gerade Menschen in Bereichen, die wirklich strukturell für unsere Infrastruktur kritisch sind, unterbezahlt werden, ist ein offenes Geheimnis. Das ist etwas, das einem der Blick in jede Statistik verrät.
Stattdessen ist es aber so, dass diejenigen, die sich jetzt dagegen wehren, ihr Elterngeld aufgeben zu müssen, sich sogar teilweise rassistischer oder armutsfeindlicher Rhetorik bedienen, indem sie behaupten, dass jetzt nur noch die "Falschen" Kinder kriegen würden. Sie sorgen dafür, dass gesellschaftliche Gruppen aufgrund ihres Einkommens in unterschiedlicher Wertigkeit wahrgenommen werden. Und das ist tatsächlich der Inbegriff von Klassenkampf.
Kritische Stimmen werfen Ihnen Spaltung und Neid vor: Man müsse sich doch mit allen Eltern solidarisieren. Wie sehen Sie das?
Dehnert: Dass uns jetzt vorgeworfen wird, eine Neiddebatte zu führen, in dem Augenblick, in dem wir tatsächlich die Verhältnismäßigkeit, mit der sich der Protest gegen die Elterngeld-Kappung Bahn bricht, kritisieren, finde ich ehrlicherweise schwierig. Denn im Endeffekt sagt dies genau eins: Wenn in dem Moment, in dem ein gemeinsames Bewusstsein in der tatsächlichen Mitte der Gesellschaft entsteht und sich Menschen Gedanken machen darüber, wie fair oder unfair das Einkommen in dieser Gesellschaft verteilt ist, tatsächlich andere Menschen losgehen und sagen "ihr spaltet, wir müssen uns alle miteinander solidarisieren", wird das politische Engagement derjenigen, die sowieso nicht schon viel Einfluss haben, schichtenübergreifend untergraben.
Wenn wir uns solidarisieren, dann müssen wir uns nach unten solidarisieren. Wir müssen uns solidarisieren mit den Eltern, die tatsächlich jeden Tag jeden einzelnen Cent umdrehen müssen. Ich bin großer Fan von Solidarität. Aber ich erwarte, dass gerade diejenigen, die das meiste Geld haben, sich vor allen Dingen mit denen solidarisieren, die das wenigste Geld haben. Und solange das nicht der Fall ist, solange Menschen, die sehr viel Einkommen und sehr viel Einfluss haben, vor allen Dingen für sich selber streiten, werde ich immer wieder die Frage danach stellen, ob das, was in diesem Land vor sich geht, tatsächlich mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hat. Und solange, wie sich Menschen mit sehr viel Einkommen eben nicht mit armen Menschen solidarisieren, müssen wir als Gesellschaft darüber sprechen, ob es nicht gerade sozial gerecht ist, wenn in einem Bundeshaushalt, in dem gespart werden muss, Menschen mit sehr viel Geld auf zusätzliche Leistungen verzichten.
Was bedeutet Armut für Sie? Und welche Rolle hat Kinderarmut in Ihrem Leben gespielt?
Dehnert: Armut bedeutet für mich, die Frage zu beantworten: Kann ich mein Leben tatsächlich leben - oder kann ich es nur verwalten? Denn am Ende des Tages entscheidet Armut darüber, ob ich tatsächlich essen kann, was ich möchte oder ob ich essen muss, was da ist. Ob ich tatsächlich die Kapazitäten habe, um beispielsweise kreativen Hobbys nachzugehen, oder ob mein Kopf schon so voll damit ist, zu überlegen, wie ich über den Monat komme, dass außer dem Verwalten meiner eigenen Armut nichts anderes mehr Platz in meinem Leben hat.
Armut ist die Frage danach, ob mein Kind in den Fußballverein gehen kann oder ob ich mir die Ausrüstung, die es dafür braucht, beispielsweise Schuhe oder Sportklamotten, gar nicht leisten kann. Armut ist die Frage danach: Habe ich tatsächlich einen Freund*innenkreis, mit dem ich regelmäßig Zeit verbringen kann, weil ich beispielsweise auch mal mit in den Biergarten gehen kann? Oder verbringe ich große Teile meines Lebens alleine für mich zu Hause, weil ich an den meisten Unternehmungen, die stattfinden, gar nicht teilnehmen kann, weil ich die Kohle dafür nicht habe?
Kinderarmut hat einen großen, isolierenden Faktor für Familien. Das fängt schon mit den Babykursen oder Krabbeltreffen an, für die in der Regel irgendeine Art von Teilnahmegebühr anfällt. Arme Menschen können sich das nicht leisten. Arme Mütter können sich das nicht leisten. In dem Augenblick, in dem du aber an diesen Dingen nicht teilnehmen kannst, entgeht dir ein großer Teil des sozialen Netzwerks.
Für uns war das damals tatsächlich ganz akut. Als mein erstes Kind geboren wurde, haben wir unterhalb der Armutsgrenze gelebt. Ich konnte mir all diese Kurse nicht leisten. Und ich merke das bis heute, weil das sind die Orte, an denen Eltern untereinander Kontakte knüpfen. Dort lernen die Familien einander kennen und bilden Netzwerke. Wenn du an diesen Dingen nicht teilnehmen kannst, bist du immer außen vor, bis du immer diejenige, die keinen Anschluss hat. Das ist tatsächlich etwas, was sich auch für die Kinder fortsetzt. Denn in dem Augenblick, in dem sie tatsächlich in Krabbelkursen und so weiter mit gemeinsamen Freundinnen groß werden, haben sie ein stabiles soziales Netz. Kann sich eine Familie das aufgrund ihrer Armut aber nicht leisten, sind diese Kinder immer ein Stück weit isoliert. Das ist am Ende des Tages auch das, was Armut bedeutet: soziale Isolation. Weil gesellschaftliche Teilhabe nur möglich ist, wenn du über das entsprechende finanzielle Kapital verfügst.
Das Gespräche führte Muschda Sherzada.