Pro-Contra: Brauchen wir mehr oder weniger Geduld im Alltag?
Geduldiges Warten bestimmt ständig unseren Alltag. Juliane Bergmann hat eine hohe Frustrationstoleranz beim Thema Geduld - ganz im Gegensatz zu Ocke Bandixen.
Pro: Das Glück der Geduldigen
Von Juliane Bergmann
Geduld? Kann ich vom Prinzip her ganz gut, würde ich sagen: in der Schlange der Eisdiele zum Beispiel, beim Online-Kauf von heiß umkämpften Björk-Tickets oder beim Erklären komplizierter Gesellschaftsspiele vor begriffsstutzigen Freunden. Wenn ich weiß, wofür sich das Warten lohnt, dann kann ich mir die Beine in den Bauch stehen, stoisch auf einen Bildschirm glotzen oder Spielregeln mit allen Mitteln der Didaktik durchdeklinieren. Schließlich gibt's am Ende eine Kugel Pistazie, ein gutes Konzert oder alberne Lachkrämpfe, sobald alle geschnallt haben, wie das Spiel "Top Ten 18 Plus" funktioniert.
Geduld muss keinen Spaß machen
Und selbst bei unschöneren Geduldsproben habe ich eine relativ große Frustrationstoleranz. Etwa in Telefonwarteschleifen, im Stau oder auf dem harten Plastikstuhl eines Behördenflures. Ich ertrage das Kafkaeske: kommunikative Labyrinthe, menschenleere Gänge, Maschinen im Stillstand. Dass ich bei allzu ausufernder Warterei zu winzigen Pöbeleien neige, die ich - höflich wie ich bin - flüsternd von mir gebe, halte ich für vertretbar. Auch wenn Poetinnen und Poeten von Kühlschrankmagnetweisheiten anderes behaupten: Geduld muss keinen Spaß machen.
"Bitte haben Sie einen Augenblick Geduld."
Seien wir mal ehrlich: Wenn wir unsere Geduld strapazieren, erleben wir Kontrollverlust. Wir sind gezwungen, zu vertrauen - darauf, dass sich die Dinge zum Guten wenden. "Bitte haben Sie einen Augenblick Geduld" - jaja... Was mich dann tröstet, ist sichtbarer Fortschritt. Ein Countdown. Der Prozentbalken am Computer, die gezogene Nummer im Amt, die Minutenanzeige am U-Bahn-Gleis. Ich trickse mein Hirn aus - die Illusion, die Sache "im Griff" zu haben.
Meine Königsdisziplin: Ich bin eine geduldige Leserin. Denn egal, wie schlecht ein Buch ist, ich bringe zu Ende, was ich angefangen habe. Eine Frage der Ehre. Wohl überlegt sein will deshalb jede Lektürewahl. Und als ich zum ersten Mal wundersam Rätselhaftes von Friederike Mayröcker gelesen habe, so etwas wie: "nach dem Augen-Aufschlagen habe er heute morgen so einen Stab = so eine Antenne = so ein Fensterglühen gesichtet = so ein mittelmeerisches Denken", da erlebte ich das Glück der Geduld. Denn ich verstand nichts, merkte aber nach wiederholtem Lesen, dass es darum auch gar nicht geht. Nimm dir Zeit für Dinge, die ohne Geduld nicht zu haben sind.
- Teil 1: Pro: Das Glück der Geduldigen
- Teil 2: Contra: Weniger Geduld, bitte!