Pro-Contra: Brauchen wir mehr oder weniger Geduld im Alltag?
Contra: Weniger Geduld, bitte!
Von Ocke Bandixen
Ich habe keine Geduld. Oder sagen wir: nur wenig. Und zwar vor allem mit all den allzu Geduldigen. Mit denen, die immer sitzen und warten, dass sich die Erde dreht oder der Raum krümmt. Nein. Denn die Geduld muss ein Ende haben bei allzu dummem Zeug, bei allzu dämlichem Gequatsche, bei allzu überflüssigem Getue. Denn - und das bringt meine durchaus, aber begrenzt vorhandene Geduld zum Schmelzen wie ein heruntergefallenes Wassereis am Rande der Schwimmbad-Wasserrutsche - auch die Geduldigen tun ja etwas, manchmal zumindest, außer abzuwarten, dass jemand die Geduld verliert. Meistens ich.
Geduldige simulieren Beschäftigung
Sie gucken. Und sie warten. Sie heben die Achseln. Sie bedauern. Sie sehen ihre Schnürsenkel an, als hätten sie sie noch nie gesehen. Und sie seufzen, ja, man müsste mal was machen. Den Rasen mähen, den Müll rausbringen, die Treppe fegen, das Klima retten. Ja. Sie tun auch etwas, nämlich sie tun, ob sie etwas täten. Das ist das Schlimmste. Und nimmt mir noch den Rest des Vorsatzes, jetzt doch mal wirklich etwas mehr Geduld mit meinen Mitmenschen zu haben. Sie simulieren Beschäftigung, Mithilfe, tätigkeitsähnliches Verhalten, das vielleicht einige, mich aber kaum täuschen kann. Auch wenn ich manchmal, könnte sein, für einen genauen Blick, sagen wir, eine Langzeitstudie vielleicht doch zu ungeduldig bin.
Geduldiges Warten
Aufräumen, tja. Klartext reden, nun ja. Eigeninitiative wäre ja schön, aber... Um es mit Hans Albers zu sagen: "Wer hinterm Ofen sitzt und die Zeit wenig nützt, schont zwar seine Kraft, aber wird auch nichts erreichen." Verstehen wir uns nicht falsch: Ich warte. Auch nicht ungern. In der Bäckerschlange: Die Gedanken am Sonntagmorgen hüpfen von Korn zu Korn der gleich zu erwerbenden Backerzeugnisse. Ich warte ebenso langmütig bei der Post, in Erwartung der baldigen Aushändigung der herbeigesehnten Postsendung. Ich warte ebenso an Kinoschlangen, schon immer eigentlich - herrlich - vor den Schaukästen mit den Szenenbildern der vielen anderen Filme, die man ja auch mal sehen könnte, wenn ich dafür nicht zu ungeduldig wäre. Und ich warte an Ampeln, beim Schütteln der Hände in Gesellschaft, wenn angebracht, beim Anstoßen der Gläser und überhaupt kann ich mich benehmen.
Geduld haben - aber nicht so viel
Ich bin geduldig in der Essenausgabe in der Kantine. Es sei denn, jemand möchte diese andere Beilage noch einmal sehen. Oder nochmal den Chefkoch sprechen, ob der Spitzkohl auch regional ist. Oder die Tomaten auf einen extra Teller, den Kräuterdip aber nicht auf die Kartoffeln, sondern nur an die Seite, so dass er die anderen Komponenten nicht berührt... Oder beim Bäcker: Ist das da drüben mit Mohn? Und der Sesam, ist der geschält? Gibt es den Kopenhagener auch zuckerreduziert und ist das Brot da drüben mit Dinkel? Nein, das daneben!
Natürlich ist es in den beiden letztgenannten Situationen besonders schlimm mit meiner Ungeduld, schließlich habe ich Hunger. Aber auch sonst: Die Ungeduld bleibt. Oder sagen wir, was mir einst ein Jugendlicher antwortete auf meinen damals recht altklugen Rat an ihn, doch etwas gelassener und geduldiger zu sein: Ich habe schon Geduld, nur nicht so viel.
- Teil 1: Pro: Das Glück der Geduldigen
- Teil 2: Contra: Weniger Geduld, bitte!