Wenn das eigene Kind zum Mörder wird: "Jenseits von Schuld"

Stand: 13.09.2024 13:33 Uhr

Die Filmemacherinnen Katharina Köster und Katrin Nemec haben für ihren einfühlsamen Dokumentarfilm "Jenseits von Schuld" die Eltern von Niels Högel begleitet, der als Krankenpfleger in Oldenburg und Delmenhorst zahlreiche Menschen getötet hat.

von Ralf Dörwang

"Man hat jahrelang gesagt: Hast du etwas verkehrt gemacht? Hättest du dies oder jenes noch anders machen können? Das ist ein Prozess. Da habe ich mit abgeschlossen. Ich gebe mir keine Schuld. Man hat alles durchgespielt und durchdacht."
"Macht ihr euch im Nachhinein Vorwürfe, dass ihr es an irgendeiner Stelle hättet merken können?"
"Nein, das weiß ich klar von mir. Das einzige war seine Trinkerei, sein Alkoholkonsum." Filmzitat

Der Sohn von Ulla und Dietrich Högel hat nachweislich 87 Menschen umgebracht und sitzt im Gefängnis. Für die Eltern ist nichts mehr wie es einmal war. Damit müssen sie jetzt leben.

"Vier Anklagen sind verlesen worden, 100 Mordfälle werden dem Angeklagten Högel zur Last gelegt. Herr Högel hat mit seiner Einlassung begonnen. Er hat angekündigt, sich einzulassen." Filmzitat

Die Eltern als Opfer und Leidtragende

Die Eltern telefonieren täglich mit ihrem Sohn im Gefängnis, halten Kontakt, obwohl er auch ihr Leben zerstört hat. "Wie würde es uns gehen? Ich denke immer wieder: Was ist eigentlich verwerflicher, zu seinem Kind zu halten, weiter mit ihm zu telefonieren und zu sprechen, einfach zu ihm zu halten, oder sich von seinem Kind zu lösen? Ist das nicht genauso schwierig? Was würde ich tun als Mutter?", fragt sich Regisseurin Katharina Köster.

"Die Eltern sind für uns auch Opfer und Leidtragende ihres Sohnes - natürlich auf eine ganz andere Weise als jemand, der seinen Angehörigen verloren hat", erzählt Regisseurin Katrin Nemec. "Das stellt so viel in Frage. Die ganze Identität einer Familie zerbricht. Ist das plötzlich nicht mehr wahr, was man vor der Tat mit dem eigenen Sohn erlebt hat? Was habe ich vielleicht falsch gemacht? Habe ich ihm zu viel oder zu wenig Liebe gegeben? Das sind alles Fragen, die man sich stellt, wenn man diesen Film sieht."

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Der Umgang mit der Schuld

Wie auch sein Vater war Niels Högel Krankenpfleger. Er gab Intensivpatienten vorsätzlich Medikamente, um einen Herz-Kreislauf-Stillstand auszulösen. Mit den anschließenden Reanimationen wollte er sich profilieren. Den Tod von Patienten nahm er in Kauf.

"Er kann das nicht begründen. Ihm ist es selber jetzt unbegreiflich, was er da gemacht hat. Das ist seine Antwort. Das kann man so nicht begreifen." Filmzitat

Regelmäßig besuchen die Eltern ihren Sohn im Gefängnis. "Die Mutter wirkt sehr offensiv und emotional und konfrontiert ihren Sohn auch", erklärt Nemec. "Der Vater wirkt eher zurückhaltend und versucht immer, zu harmonisieren. Aber in ihm arbeitet es natürlich genauso. Er hat zum Beispiel Herzprobleme. Der Schmerz bahnt sich einfach einen anderen Weg. Die Eltern haben einen ganz unterschiedlichen Umgang mit der Schuld."

"Er hat ganz schön Druck gemacht am Telefon. Das hörte sich so an, als ob er uns dafür verantwortlich macht, dass er da keinen Verteidiger hat. So kam mir das vor. (...) Das hat er in dem Moment auf mich projiziert. Da brauchst du nicht die Augen zu rollen. Das ist so. So habe ich das empfunden. Du kannst mir meine Empfindungen nicht streitig machen." Filmzitat

"Die beiden geraten immer wieder aneinander, auch was den Umgang mit dem Sohn betrifft. Es ist nicht leicht", sagt Nemec und Köster ergänzt: "Ich bewundere die sehr, wie sie noch zusammen sind, sich lieben und zueinander halten. Auch als sie den Film gemeinsam angeschaut haben, gab es ganz schöne Momente, wo sie sich an die Hand genommen haben und gemerkt haben, wie der andere über einen redet. Sie waren berührt, sich gegenseitig zu sehen."

"Jenseits von Schuld": Es gibt keine einfache Antwort

"Jenseits von Schuld" ist ein Film, der für die vielen Angehörigen der Opfer vielleicht schwer zu ertragen ist. Die Filmemacherinnen haben sich vom Weißen Ring beraten lassen und den Film vorab den Familien gezeigt. "Das ist auch das Schwierige, was wir als Zuschauer aushalten müssen: dass es keine einfache Antwort gibt und dass man sich fragen muss, ob mir das genauso passieren könnte, auch wenn ich alles dafür tue, mein Kind gut zu erziehen. So gut, wie sie es eben auch getan haben", sagt Köster.

Die Eltern müssen sich nicht nur dem eigenen Los stellen, sondern auch dem Bild der Öffentlichkeit:

"Ich schätze ihn als empathielosen Menschen ein. Anders kann man es sich auch nicht vorstellen, dass man Patienten, die hilflos im Bett liegen, zu Tode spritzt." Filmzitat

Beeindruckend, wie diese Eltern versuchen, das zu schaffen.

"Man wünscht sich immer wieder: Ach, könnte es doch nochmal so sein. Aber es ist vorbei." Filmzitat

Jenseits von Schuld

Genre:
Dokumentation
Produktionsjahr:
2024
Regie:
Katharina Köster, Katrin Nemec
Länge:
79 Minuten
Kinostart:
19. September 2024

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur - Das Journal | 16.09.2024 | 22:45 Uhr

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Dokumentarfilm

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