"Ernest Cole": Raoul Pecks Kinodoku vom Apartheid-Fotografen
Der Filmemacher Raoul Peck erzählt in seinen Dokumentarfilmen die Geschichten Schwarzer Vordenker. In seinem neuen Film lässt er uns das Leben des Fotografen Ernest Cole neu entdecken - und zugleich ein gewaltiges fotografisches Vermächtnis.
Als Ernest Cole 1959 zum ersten Mal das Fotobuch "People of Moscow" des französischen Fotografen Henri Cartier-Bresson in den Händen hält, ist er 19 Jahre alt und lebt im Schatten eines brutalen Regimes. Die Kamera wird zu seinem Schutzschild. Und zur Waffe. Er beginnt, das Alltagsleben Schwarzer Südafrikaner unter dem Apartheidregime zu dokumentieren - mit versteckter Kamera, oft unter Lebensgefahr.
"House of Bondage - ich hab mein ganzes Leben in dieses Buch gesteckt. Ich hab jeden Tag mein Leben riskiert. Ich musste lernen, auf Augenhöhe zu fotografieren. Ich musste im Gehen fotografieren. Es war eine Frage des Überlebens. Jeder Moment musste gestohlen werden." Filmszene
Bilder werden verboten, Cole flieht ins Exil
Sein Buch "House of Bondage" erscheint 1967 in den USA und ist eine schonungslose Abrechnung mit dem Apartheidstaat. Darin zu sehen sind Bilder von Zwangsumsiedlungen, Elendsvierteln, Polizeigewalt, und den 69 Toten von Sharpeville. Coles Bilder gehen um die Welt und werden in Südafrika sofort verboten. Er weiß, dass er mit der Veröffentlichung seine Rückkehr verspielt hat: "Ich war mir natürlich bewusst, dass es nach dem Abschluss nicht möglich sein würde, in Südafrika zu bleiben. Aber das war mir dann auch egal."
Zunächst wird er gefeiert, doch bald vergessen. In New York hält er weiter das Leben auf der Straße fest - doch kein Verlag interessiert sich dafür. Und doch hat Cole nie aufgehört zu beobachten. Alles ist ihm wichtig, jedes Lächeln, jeder Blick: "Für mich ist alles neu. Jedes Lächeln, jeder Blick, ob sie in die Kamera schauen oder ihr ausweichen", so Cole.
2017 werden Coles Negative zufällig entdeckt
Der Film von Raoul Peck verzichtet fast vollständig auf klassische Interviews. Stattdessen montiert er Fotos, Briefe und Tagebucheinträge. Schauspieler Lakeith Stanfield leiht Cole seine Stimme und ist dabei zurückhaltend, eindringlich, mit genau dem richtigen Maß an Verletzlichkeit.
Auch den tragischen Absturz des Fotografen thematisiert der Film, und zeigt die Sensation, die ihn überhaupt erst ermöglicht hat: 2017 tauchen rund 60.000 Negative in einem Bankschließfach in Stockholm auf. Aber wer sein Archiv dort eingelagert hat und warum, ist bis heute ein Rätsel, auch für seinen Neffen und heutigen Nachlassverwalter Leslie Matlaisane. "Ich konnte nicht einmal glauben, dass eine Bank in Schweden keine Unterlagen hat. Und sie übergaben uns dieses Material, ohne etwas zu unterschreiben? Das war etwas sehr, sehr Seltsames für mich", sagt er.
Was Coles Bilder so besonders macht, ist ihre Klarheit. Ohne Pathos, aber mit großer Empathie zeigen sie den Alltag unter der Apartheid. Es sind Momente der Demütigung und Kontrolle, aber auch der Würde. Seine Bilder sind stille Anklagen, fotografiert von einem Mann, der wusste, dass jedes Foto ein Akt des Widerstands ist. Und der trotz allem hoffnungsvoll geblieben ist. Schon Ende der 1960er-Jahre war Cole davon überzeugt, dass Südafrika eines Tages frei sein wird.
Ernest Cole: Lost and Found
- Genre:
- Dokumentarfilm
- Produktionsjahr:
- 2024
- Produktionsland:
- USA, Frankreich
- Regie:
- Raoul Peck
- Länge:
- 105 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahren
- Kinostart:
- 17. April 2025
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Dokumentarfilm
