Tom Schilling: Schlüpft gerne in Rollen, die sich selbst verlieren
Hundert Jahre nach Erscheinen von Thomas Manns "Zauberberg" reist Tom Schilling in das Sanatorium "Haus Müßiggang" und zwar als Sven Schmitz. Wie viel er von sich in die Rolle steckt, und was er am Hörspiel mag, erzählt er im Interview.
Wer darf Urlaub machen? Wer ist "urlaubsfähig" und bekommt eine entsprechende Bescheinigung? Wird die Urlaubsfähigkeit nicht attestiert, geht es in eine sogenannte "Pre-Holiday-Klinik", damit die Urlaubskandidaten nach kurähnlichen Maßnahmen auch wieder richtig urlaubsfähig werden. Das neue Urlaubsgewährungsgesetz macht den Urlaub zur Bürgerpflicht. Pandemie, Kriege, Inflation, Klima - die Multikrise hat ihre Spuren hinterlassen, die deutsche Bevölkerung ist zu erschöpft. Deutschland in naher Zukunft?
Oliver Sturm schreibt, pünktlich zu Thomas Manns 150. Geburtstag und rund 100 Jahre nach der Veröffentlichung seines legendären "Zauberberg"-Romans die Sanatoriums-Geschichte um, versetzt sie an den Südhang des Oberen Wendelstocks und untersucht die "große Gereiztheit". In der zehnteiligen Hörspielserie kommt Tom Schilling als Sven Schmitz, und moderner Hans Castorp, ins Sanatorium "Haus Müßiggang". Über seine Rolle in der Hörspielproduktion, über die gegenwärtige gesellschaftliche Verfasstheit spricht der Schauspieler mit Katja Weise in NDR Kultur à la carte.
Sie haben unheimlich viele verschiedene Sachen gemacht. Sie haben jetzt auch eine Hörspielserie für den NDR und Deutschlandfunk gemacht. Suchen Sie gezielt nach Abwechslung?
Tom Schilling: Ja, durchaus. Ich bin ein totaler Autodidakt. Ich liebe es, mir unterschiedlichste Sachen selber raufzuschaffen und die kommen dann eher zufällig zu mir. Manchmal habe ich das Gefühl, das könnte ich vielleicht auch, dann will ich das probieren und dann verbeiße ich mich darin. Hörspiel und Film sind sehr nah beieinander. Ich mache das auch schon lange. Ich liebe Hörspielarbeit insofern, als die Sachen, die ich manchmal beim Film sehr belastend empfinde, alle wegfallen, nämlich die sehr häufige Wiederholung. Man muss beim Hörspiel nicht so viele Takes sprechen, weil eine Szene nicht aus vielen unterschiedlichen Perspektiven gefilmt werden muss. Außerdem ist es das ganze Gewusel, die Maske, die Kostüme und vor allem diese Kamera, die glaube ich, das fieseste Instrument für Schauspieler ist. Da trennt sich die Spreu vom Weizen. Das sich Wohlfühlen vor der Kamera und all das ausblenden zu können, das gelingt nicht allen Schauspielern. Beim Hörspiel hast du diese Bürde nicht. Deswegen macht das total Freude. Man kann manchmal viel befreiter arbeiten.
Ich dachte, Sie hätten eine Art Liebesbeziehung zur Kamera?
Schilling: Das habe ich auch. Ich würde sagen, dass ich das mit der Zeit trainiert habe. Beziehungsweise ich habe schon etwas, da will ich jetzt nicht zu bescheiden sein, was die Kamera mag. Aber oft ist es auch ein großer Kampf. Meistens, wenn das Material nicht so gut ist, oder wenn man mit den Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, nicht die gleiche Sprache spricht, wenn man anfängt, sich unwohl zu fühlen, dann sieht die Kamera alles. Das ist meine Meinung.
Mögen Sie uns erzählen, was dieser Sven Schmitz für eine Figur ist?
Schilling: Ich finde, die Leute sind immer, was sie tun. Es gibt diesen Begriff, "deformation professionelle", also wie sehr einen der Beruf prägt. Sven Schmitz ist Unternehmensberater und er ist ein sehr pragmatischer Mann, der glaubt, alles unter Kontrolle zu haben und die Welt in eine Excel-Tabelle sortieren kann. Innendrin ist er aber ein Mann, der eine ganz tiefe Sehnsucht nach einem Verschmelzen hat und Sehnsucht danach, irgendwo anzukommen. Er ist in einer toxischen Beziehung mit einer Frau, die ihm nicht guttut, und verliebt sich dann wiederum in eine Frau, die auch eher fragwürdig ist. Sie ist eine Anhängerin der Anastasia-Bewegung. Er ist, wie so viele Figuren, die ich mag, lost, also verloren im Leben. Noch besser finde ich die Figuren, die es nicht wissen, dass sie es sind.
Wenn Sie Sven Schmitz sprechen und wir ihn nicht sehen, und ihn möglicherweise automatisch mit Ihrem Gesicht in Verbindung bringen. Ist es für Sie wichtig, wie diese Figur aussieht? Machen Sie sich da eine Vorstellung?
Schilling: Nein, ich spiele die Figuren tatsächlich immer alle durch mich hindurch. Die sind immer ich. Manche Leute sagen, der spielt immer nur sich selbst. Ich finde das schwer genug, sich selbst zu spielen, oder etwas von sich in eine Rolle zu geben. Insofern denke ich, dass der schon so aussieht wie ich. Aber ich denke gar nicht darüber nach, wie er aussieht, sondern einfach nur, was er denkt und wie der fühlt. Das sind die Sachen, mit denen ich mich eher in dem Moment beschäftige.
Hatten Sie als Schauspieler je Vorbilder?
Schilling: Ja, doch. Ich finde ganz Viele toll. Ich vergesse es auch immer. Wenn wir jetzt eine Liste hätten, würde ich sagen, den finde ich toll, oder den. Aber das amerikanische Kino der 1960er-, vor allem der 1970er-Jahre hat mich schon sehr geprägt: Robert De Niro, Al Pacino, Dustin Hoffmann. Das liegt aber auch natürlich an den Filmen, die wahnsinnig toll waren. Auch Leonardo DiCaprio ist einfach unschlagbar, finde ich. Aber dann gibt es natürlich ganz viele andere aus der zweiten Reihe, die genauso fantastisch sind.
Würden Sie sagen, Sie sind ein Perfektionist?
Schilling: Auf jeden Fall, ja klar.
Und wie oft scheitern Sie an Ihren eigenen Vorstellungen?
Schilling: Permanent.
Aber das gehört dazu, oder?
Schilling: Offenbar. That's Life!
Die Hörspielserie "Die Erschöpften" mit Tom Schilling mit zehn Folgen ist ab 28. April in der ARD Audiothek zu hören. Auf NDR Kultur gibt es sie vom 3.5. bis 31.5.2025, sonntags ab 18:04 Uhr.
Das Gespräch führte Katja Weise. Einen Ausschnitt davon lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek hören.
