Stuntfrau Marie Mouroum: Von Berlin nach Hollywood
Sie hat in "Star Wars", "James Bond", "Tribute von Panem" und "Homeland" mitgespielt - als Stuntfrau. Bei "Deutschland 3000" spricht sie über die Vielfältigkeit ihres Berufs und über die Streiks der US-Filmbranche.
Marie Mouroum hat in einigen der größten Kinofilme und Serien der vergangenen Jahre mitgespielt. Allerdings kam es dabei immer darauf an, dass sie gar nicht zu erkennen ist. Denn Marie ist Stuntfrau und noch dazu eine der wenigen Schwarzen ihres Fach. Sie springt ein, wo es für Schauspielerinnen wie Halle Berry, Queen Latifah oder Lashana Lynch zu brenzlig wird. Gleichzeitig ist sie auf dem besten Weg, selbst ein Star zu werden. Vor ein paar Jahren hat sie im "Black Panther" mitgespielt und ist seitdem Teil des Marvel-Universums. Auch im Actionfilm "3 Engel für Charlie" von Elizabeth Banks, der 2018 zum Teil rund um die Elbphilharmonie in Hamburg gedreht wurde, hat sie mitgewirkt. Einen Auszug lesen Sie hier, das ganze Gespräch hören Sie in der ARD Audiothek oder als Podcast.
Wie ist das Marie, wenn du ins Kino gehst: Bleibst du den ganzen Abspann lang sitzen?
Marie Mouroum: Meistens ja. Ich kenne viele Leute im Business, und dann gucke ich immer: Der hat das gemacht, und die war da. Dann interessiert es mich auch, wo die gedreht haben.
Als Stuntfrau bist du jemand, der auch im Abspann vorkommt, aber vom Publikum nicht gesehen wirst. Wurmt dich das manchmal, dass dann jemand anderes den Applaus dafür einsammelt?
Mouroum: Nee! Wenn du den Job als Stuntfrau machst, dann weißt du ja, wie was das ist. Ich kann es ganz gut einschätzen. Es gibt zwei Kategorien: Als Stuntdouble ist es wirklich so, dass du eigentlich nicht existieren darfst. Alles muss aussehen, als wäre es die Hauptdarstellerin gewesen. Oder du bist halt Stuntperformer. Dann spielst du schon dich selbst und machst deine Stunts. Wann immer ich jemanden double, versuche ich, den Job so professionell wie möglich zu machen. Es ärgert mich dann auch nicht, weil ich das ja von Anfang an weiß.
Lashana Lynch war im letzten "James Bond"-Film die Hauptdarstellerin und du warst ihr Hauptstuntdouble. Wie läuft so etwas ab? Kommst du morgens ans Set und sagst: "Wo springe ich heute runter?
Mouroum: Als ich bei "James Bond" angefangen habe, war die Schauspielerin noch nicht mal festgelegt. Die wussten, es wird eine Schwarze Hauptdarstellerin. Und ich glaube, drei verschiedene Schauspielerinnen standen noch zur Auswahl. Ich wusste noch nicht, wen ich da doubeln werde.
Das heißt, du warst schon sicher, bevor die Hauptrolle besetzt war?
Mouroum: Die haben mich quasi schon gesichert, weil es nicht so viele Schwarze Stuntfrauen in Europa gibt. Dann haben sie mich schon gebucht und später erst die Schauspielerin. Ich habe angefangen mit dem Stuntteam die ganzen Kampfszenen durchzugehen. Wir haben angefangen, uns etwas auszudenken, das zu choreografieren. Es gibt einen großen Stuntspace, also so eine Halle, die nur für die Stuntleute ist. Dann kommen die Schauspieler einmal am Tag, manchmal dreimal die Woche in die Halle. Das ist immer unterschiedlich, je nach dem wie ihre Schedules sind.
Lashana Lynch und Daniel Craig mussten schon jeden Tag trainieren. Dort erklären wir ihnen die Szenen: Hier wird dies und das passieren, wir haben uns das so vorgestellt. Und dann mache ich ihre ganze Action vor. Große Schauspieler wie Daniel Craig können dann mitreden und er kann sagen, das fand ich jetzt nicht cool. Den Move machen wir besser nicht. Und dann geht es los, dass man Wochen und Monate lang trainiert. Jeden Tag bringe ich es den Schauspielern bei und mache Fitnesstraining mit ihnen. Nach ungefähr zwei, drei Monaten geht es ans Set und es wird angefangen zu drehen. Da ist man echt den ganzen Tag. Viele Stuntszenen werden ja auch auf die Schauspieler gedreht, so dass sie halt viele Shots von deren Gesicht haben - die Anfangsbewegung quasi, dann gibt es einen Texas-Switch, so nennt man das, wenn die Kamera weiterläuft und wir switchen nur ganz schnell und dann geht es genau da weiter. Manchmal heißt es dann auch wirklich "Cut!" und ich drehe noch mal von vorne.
Was hältst du von Schauspielern, die sagen: "Ich mache alle meine Stunts selbst?"
Mouroum: Ja, mach mal (lacht). Viele junge Schauspieler, die noch nicht so lange dabei sind, denken, das ist voll cool. Wenn ich dann Double bin, sage ich immer: Mach! Mach ruhig, dann muss ich nicht. Man merkt ganz schnell, dass man viele Sachen am Set nicht nur einmal macht, sondern teilweise 20 Mal. Einmal kann das jeder, aber du musst das immer wieder machen. Weil die Kamera umgestellt wird und das Licht. Dann ist es irgendwie nachts um drei und es schneit. Oft ist es dann doch, dass sie dann sagen: Marie, kannst du das machen? Und ich sag: "Ja okay!"
Vor zwei Jahren kam die Nachricht, dass Alec Baldwin bei einer Probe am Set eine Kamerafrau erschossen hat. Was war das Erste, was dir durch den Kopf ging?
Mouroum: Dass ich genau an diesem Set ein paar Wochen vorher gedreht habe. Für mich war es noch mal ein bisschen realer. Ich weiß genau, wie es da aussieht. Wir haben da auch mit Schusswaffen gedreht. Es hat mich ein bisschen mehr berührt.
Und dann dachte ich: "Wie kann das passieren? Du hast am Set auch einen Waffenmeister." Das ist echt jemand, der sich nur um die Waffen kümmert und um die Sicherheit. Keine Ahnung, wie das passieren konnte. Das ist wirklich richtig verantwortungslos. Es war richtig, dass der Film abgebrochen wurde und er da vor Gericht gezogen ist. Es war einfach der richtige Move. So etwas darf einfach nie wieder passieren. Zur heutigen Zeit, wo es so viele Sicherheitsvorkehrungen gibt, war das für mich unvorstellbar, dass so etwas passiert.
Eines deiner großen Vorbilder ist Jackie Chan. Ich habe im Vorfeld ein Zitat von ihm gefunden. Da hat er gesagt: "In der Werbung werde ich immer als furchtlos bezeichnet. Aber das ist eben nur Werbung. Jeder, der denkt, dass ich bei meinen Stunts keine wahnsinnige Angst hätte, ist verrückter, als ich es bin." Kannst du dich damit identifizieren?
Mouroum: Auf jeden Fall! Ich würde jetzt nicht sagen Angst. Angst ist so ein negatives Wort. Aber ich habe Riesenrespekt vor jedem Stunt, den ich mache. Auch wenn es wirklich eine ganz kleine Nummer ist, bin ich davor wie in einem ganz tiefen Meditationszustand und muss richtig konzentriert sein.
Ich gehe die Bewegung der Nummer im Kopf durch, dass die wirklich schon richtig abgespeichert ist. Da bin ich echt auch gar nicht ansprechbar. Ich bin echt nur bei mir. Dann rede ich mir richtig zu: Du schaffst es. Das geht jetzt alles gut. Da bin ich dann wirklich total selbstbewusst. Aber ich hab Riesenrespekt davor und bin hochkonzentriert - vor jedem Ding.
Normalerweise haben wir bei "Deutschland3000" oft entweder/oder-Fragen. Bei dir habe ich mir etwas anderes ausgedacht, nämlich: Sätze vervollständigen. Also ich sage den Satzanfang und du sagst das Erste, was dir in den Kopf kommt. Auf meinem ersten roten Teppich wäre ich …
Mouroum: … gerne nicht so schüchtern gewesen.
Daniel Craig hat mir …
Mouroum: … seinen Physiotherapeuten zur Verfügung gestellt.
Halle Berry wollte …
Mouroum: … mich machen lassen. Sie hat immer gesagt: "Mach ruhig Marie". Sie war gar nicht so eine Schauspielerin, die gesagt hat: Ich muss das jetzt alles machen, sondern sie hat mich immer machen lassen.
Bei einer Preisverleihung in Hollywood sollte man …
Mouroum: … gut angezogen sein.
Als Marvel-Charakter kann man …
Mouroum: … Teile des Marvel-Universums sein und ganz normale Filme drehen.
Das beste Catering gibt es bei …
Mouroum: … das war tatsächlich bei "Black Panther".
Dieses Jahr stand die Film-Branche zumindest in den USA auf einmal für viele Monate still.
Mouroum: Ursprünglich waren es die Autoren, die gestreikt haben. Es ging um den Schutz vor KI, also Künstlicher Intelligenz, weil die ganz einfach deren Job ablösen kann. Die wollten sich davor schützen mit neuen Verträgen. Die Schauspielergewerkschaft hat die erstmals unterstützt. Die Autoren haben ihren Deal bekommen und die Schauspieler haben aber immer noch gestreikt, weil sie auch Schutz vor KI wollten und dadurch, dass jetzt gestreamt wird, gibt es auch ganz neue Konditionen. Netflix, Amazon, Disney zeigen dir nicht die Zahlen, wie viele Leute wirklich den Film gucken. Darum ging es dann auch bei dem Streik, dass die Zahlen offengelegt werden, dass man mehr Anteile hat und dass man geschützt ist vor der KI, weil die dich ganz leicht ersetzen könnte - besonders Stunts.
Irgendwan haben sie dann doch zu einer Einigung gefunden. Bist du zufrieden mit dem, was da jetzt beschlossen wurde?
Mouroum: Ja, schon. Die Einigung ist ja bisher nur auf drei Jahre geschlossen. Das heißt, es ist spannend, was nach diesen drei Jahren passiert. Ich glaube, es gibt einen Grund, warum das eine auf drei Jahre begrenzt ist, weil KI bestimmt bis dahin so hoch modernisiert ist, dass die bestimmt sagen, jetzt machen wir alles nur noch damit.
Hast du da Sorge vor?
Mouroum: Ja und nein, weil ich glaube, überall ergeben sich dann wieder neue Möglichkeiten und Jobs. Aber die Welt verändert sich, und das Filmbusiness verändert sich. So war das schon immer. Ich vergleiche das immer damit: Früher hat man auf Filmrollen gedreht, und auf einmal wird es digital. Das sind auch viele Jobs, weggefallen mit den Menschen, die die Filmrollen da aufsetzen, bearbeiten und entwickeln. Die hatten ja auch sagen können, was es mit uns? Dann sind aber dadurch wieder neue Jobs entstanden. Ich glaube, so ungefähr wird es auch mit KI sein. Wir müssen einfach mit der Zeit gehen, mitdenken und schauen, wo ich jetzt noch von Gebrauch sein kann. Wie kann ich hier noch mitspielen? Das wird aber schon.
In einem früheren Interview hast du mir gesagt, dass eins deiner Ziele war, mal selbst eine größere Action-Rolle zu spielen, bei der du deine ganzen Stunts selber machst. Du hast damals aber schon gesagt, da warte ich aber noch, es muss genau das Richtige sein. Im Januar 2024 kam "60 Minuten" raus. Warum war der genau das Richtige?
Mouroum: Das klang irgendwie genauso, wie ich mir das vorgestellt hatte: Es war ein deutsches Projekt, Berlin - so meine Stadt, wo ich groß geworden bin. Das war so sehr vertraut und mit den Schauspielern, die mitmachen - ich finde, es war ein guter Vibe. Wir haben gut zusammengepasst. Dann war da noch der Regisseur Oliver Kienle, der macht ganz tolle Sachen. Er ist ein super talentierter Regisseur, den man einfach vertrauen kann. Was er macht, ist gut. Das Stuntteam waren Freunde von mir, da wusste ich, da kann ich auch meine eigene Chorio machen. Alles hat irgendwie gestimmt.
Es gibt sehr, sehr viele Kampfszene in dem Film - wirklich Nahkampf und Boxkampf. Was fasziniert Menschen so sehr an dieser Form von Gewalt? Da werden Leute wirklich schlimm verprügelt und richtig zugerichtet. Das wünscht man niemandem. Warum guckt man sich das trotzdem gerne an?
Mouroum: Ich sehe das aus einem ganz anderen Blickwinkel. Ich sehe das eher als Kampfkunst. Ich hatte eigentlich auch viel mehr Kämpfe und viel mehr Moves - was natürlich alles rausgeschnitten wurde, da war ich auch sehr traurig darüber. Ich geh da eher mit so einem Bewegungshintergrund ran und nicht, wie schlage ich jetzt jemand zusammen, sondern wie kann man so coole Moves zeigen.
Und wie erklärst du dir das beim Publikum? Warum sind die gefesselt von so etwas?
Mouroum: Ich glaube, weil du so etwas niemals selber könntest und niemals in so einer Situation wärst. Auch denkst du oft: Was würde ich jetzt machen? Dann siehst du im Film, wie eine Frau gegen einen erwachsenen Mann cool kämpft, das ist eine Faszination, weil es in deinem Kopf gar nicht greifbar ist. Es gibt dir auch eine gewisse Kraft mit, dass man ein bisschen mehr Selbstbewusstsein dadurch kriegt, so etwas zu sehen, dass man sich körperlich messen kann. Außerdem finde ich, kämpfen ist ja so alt wie die Menschheit. Und dass Menschen gerne sehen, wie sich zwei Körper aneinander messen wollen, wer stärker ist - wie im Sport.
Und wie oft fängt man sich am Set bei einem Dreh dann doch eine ein?
Mouroum: Also ich gar nicht (und lacht). Wenn man die Distanz nicht hält und du aber schon durchschwingst, kann es schon mal passieren. Aber wenn du wirklich professionell als Stuntman arbeitest, dann passiert das nicht, weil du voll bis zur letzten Sekunde zurückziehen könntest. Wenn du jetzt mit Ryan Reynolds kämpfst und er nicht die Distanz hält, heißt es nicht, dass du denn jetzt schlagen darfst. Du muss trotzdem immer die Kontrolle bewahren.
Das ganze Gespräch hören Sie im Podcast "Deutschland3000 - 'ne gute Stunde mit Eva Schulz".