"Stella. Ein Leben." - Regisseur Kilian Riedhof im Gespräch
Die Geschichte ist brisant: Stella Goldschlag, geboren 1922 in Berlin, war Jüdin und wurde in der Zeit des Nationalsozialismus vom Opfer zur Täterin. Ein Gepräch mit "Stella"-Regisseur Kilian Riedhof.
"Der Fall Barschel", "Gladbeck", "Meinen Hass bekommt ihr nicht" über die Terroranschläge auf den Bataclan in Paris - der Hamburger Regisseur Kilian Riedhof hat in seinen Filmen immer wieder Ereignisse aufgegriffen, die die Gesellschaft in ihrer Zeit und darüber hinaus massiv erschüttert haben. Hochkarätig besetzte, akribisch recherchierte Spielfilme, für die er vielfach ausgezeichnet worden ist. Aktuell läuft "Stella" in den Kinos, ein Film über die Jüdin Stella Goldschlag, die zwischen 1943 und 1945 hunderte, vielleicht tausende Jüdinnen und Juden denunzierte als sogenannte "Greiferin". Ein Stoff, der den Regisseur schon lange umtreibt.
Herr Riedhof, wie sind Sie auf Stella gestoßen?
Kilian Riedhof: Ich habe vor ungefähr 20 Jahren ein Foto von Stella Goldschlag in einer Zeitung gesehen. Das Foto hat mich sofort angesprochen und gebannt, weil ich dort eine junge Frau auf dem Kurfürstendamm mitten in Berlin sah: blond, lebendig, sehr gegenwärtig. Dann habe ich den Artikel über ihre Taten und darüber, dass Stella Goldschlag auch Opfer war, gelesen: verfolgt, in den Untergrund getrieben, gefoltert, mit Deportation bedroht. Das hat mich in seiner Ambivalenz von Anfang an sehr berührt. Vielleicht auch, weil ich uns selbst darin von Anfang an erkannte mit der Frage: Was hätten wir eigentlich getan, wenn wir in Stellas Lage gewesen wären?
20 Jahre ist eine relativ lange Zeit. Was war der Auslöser, sich jetzt filmisch mit dieser Person zu beschäftigen?
Kilian Riedhof: Manchmal brauchen Geschichten Zeit, bis sie werden. Ich habe damals schon mit dem einen oder anderen Produzenten gesprochen. Man hat mir damals gesagt: Das ist schwierig, aus Deutschland heraus so einen Film zu machen. Ich glaube immer noch, dass wir einen sehr herausfordernden Stoff haben, aber ich glaube schon, dass wir mittlerweile in der Lage sind, aus Deutschland heraus so einen Film zu drehen. Ich habe in Michael Lehmann einen sehr engagierten und passionierten Mitstreiter für dieses Projekt gefunden.
In Berlin hat es vor ein paar Jahren ein Musical über Stella gegeben. Es gibt Dokumentationen, Filme, Bücher. Über den Roman "Stella" von Takis Würger, der heftig verrissen wurde, gab es eine hitzige Diskussion. Sie haben schon angedeutet, es war schwierig. Sind Sie gewarnt worden, sich mit dem Stoff zu befassen?
Kilian Riedhof: Ich glaube, der eine oder andere, der unser Drehbuch und unser Projekt nicht kannte, hatte sicher Befürchtungen. Wir haben uns von Anfang an um eine intensive, eigenständige Recherche bemüht. Wir sind ins Landesarchiv in Berlin gegangen und haben sämtliche Prozessakten und Verhörprotokolle mit Stella Goldschlag durchgearbeitet. Das war uns wichtig. Uns war von Anfang an klar, dass wir diese Geschichte nicht zu reinen fiktionalen Zwecken ausbeuten dürfen, sondern sehr nah an der festzustellenden Wahrheit bleiben müssen, weil wir der Figur in ihrer Ambivalenz gerecht werden müssen.
Deswegen haben wir von Anfang an Kontakt zur jüdischen Community gesucht. Wir sind von Professor Andreas Nachama, dem Gründer von "Topographie des Terrors", beraten worden. Wir waren in engem Austausch mit der "Gedenkstätte Deutscher Widerstand". Wir haben uns mit sehr vielen Fachleuten zusammengetan. Wir haben auch mit ehemaligen untergetauchten Juden in Berlin gesprochen - wie Walter Frankenstein. Diese profunde Recherche musste Basis dieses Unterfangens sein.
Der Film kommt heraus in einer Zeit, in der brutale antisemitische Übergriffe stark angestiegen sind. Das ist ein gewisses Risiko, oder?
Kilian Riedhof: Ich würde sagen, der Film muss gerade jetzt herauskommen. Das, was wir gerade erleben - Anschläge auf Synagogen, Bedrohungen von jüdischen Mitbürgern -, ist schrecklich. Unser Film schildert, wie eine junge Frau von einem verbrecherischen System pervertiert wird: ein System, das Menschen entmenschlicht, entstellt und zu Taten treibt, die sich die Menschen Jahre zuvor nicht hätten vorstellen können. Diese blutrünstige Brutalität des Systems zeigen wir. Stella wird zur Zwangsarbeit stigmatisiert, in den Untergrund getrieben, gefoltert. Wir zeigen massiv ein System, das in der Geschichte seinesgleichen sucht. Das NS-System ist das System der Haupttäter, ein System, das seine Opfer bei der eigenen Vernichtung zur Beteiligung gezwungen hat.
Das ganze Gespräch können Sie hier hören. Es führte Katja Weise.