Karina Gauerhof: "Animationsfilme sind nicht nur für Kinder"
Das Braunschweig International Film Festival (BIFF) setzt in diesem Jahr auf einen Animationsfilm-Schwerpunkt. Festival-Leiterin Karina Gauerhof sieht ein großes erzählerisches Potenzial in dem Genre, jenseits des Kinderfilms.
Was hat Sie dazu bewegt, in diesem Jahr beim BIFF einen Animationsfilm-Schwerpunkt zu setzen?
Karina Gauerhof: Ich bin ein großer Animationsfilmfan: Also gab es eine gewisse persönliche Motivation. Ich bin auf vielen Filmfestivals und -märkten unterwegs, auf denen die Weltvertriebe ihre Filme vorstellen. Wenn es um Animationsfilme geht, wird immer betont, wenn es sich dabei nicht um einen Kinderfilm handelt. Daran sieht man, dass es eine Voreingenommenheit beim Animationsfilm gibt. Das finde ich schade, weil der Animationsfilm nicht unbedingt nur ein Medium für Kinder ist. Das hat eher mit den Inhalten zu tun. Deswegen hatte ich einen Animationsfilm-Fokus für ein erwachsenes Publikum schon seit Längerem im Auge. Dieses Jahr hat sich das perfekt ergeben, weil wir das Festival mit einem Animationsfilm eröffnen.
Was für Filme haben Sie denn im Programm?
Gauerhof: Wir haben insgesamt acht Langfilme und ein Kurzfilmprogramm ausgewählt. Wir haben uns dabei auf europäische Produktionen fokussiert. Themenschwerpunkte sind bei den Filmen tatsächlich größtenteils Krieg, Trauma und Flucht. Solche Themen werden im Animationsfilm oft behandelt - wegen der Freiheit und Fantasie, die man bei der Umsetzung hat. So lassen sich auch ein bisschen die Angst und Grausamkeit rausnehmen, die mit den Themen verbunden sind. Es gibt aber auch Geschichten, die etwas trivialer sind: "Tender Metalheads", eine schöne Coming-of-Age-Geschichte aus Spanien zum Beispiel. Die ist vom Stil her wie ein richtiger Comic visualisiert.
Können Sie sagen, woher dieser Trend kommt?
Gauerhof: Frankreich und Spanien sind tatsächlich Vorreiter und die produktionsstärksten Länder im Animationsbereich. Deutschland bildet im Vergleich dazu leider eher ein Schlusslicht. Das hat viel mit Förderung zu tun. In Frankreich steht viel mehr Geld zur Verfügung. Das Problem beim Animationsfilm ist, dass er in der Herstellung wirklich sehr teuer ist, außerdem dauert die Produktion in der Regel recht lang. In Deutschland sind die Filme schwerer zu vermarkten, weil das Publikum den Animationsfilm doch meist dem Kinderfilm gleichsetzt. Es gibt zwar ein größeres Publikum für die japanischen Anime-Filme der großen Studios. Wenn einem die Filme sonst aber nicht direkt etwas sagen, gehen sie unter und kommen gar nicht erst in die Kinos. Dem wollen wir etwas entgegensetzen. Festivals sind ja dazu da, neue Dinge zu erkunden und neue Perspektiven aufzumachen. Wir möchten das Publikum ermutigen, auch mal etwas Neues auszuprobieren.
Auf der Frankfurter Buchmesse hat sich gezeigt, dass Comics und Graphic-Novels gerade im Trend sind. Profitiert die Animationsfilm-Branche davon?
Gauerhof: Comic- und Graphic Novel-Fans sind für Animationsfilme bestimmt zugänglicher, davon profitiert der Animationsfilm natürlich. Werke dienen bestimmt auch als Vorlage für spätere Filmprojekte.
Welches Potenzial haben Animationsfilme Ihrer Meinung nach?
Gauerhof: Der Animationsfilm hat den Vorteil, dass er in der Umsetzung sehr frei sein kann. Man muss zum Beispiel nicht lange casten, um perfekte Darsteller*innen zu finden, sondern man kann sich die Charaktere ganz frei ausdenken. Sehen die zum Beispiel eher abstrakt aus, oder sehen sie eher sehr menschlich, authentisch und realistisch aus? Oder: Wie sieht das Setting des Films aus? Es gibt viele Freiheiten, Geschichten auch metaphorisch zu erzählen.
Denken Sie, dass sich Animationsfilme auch in Deutschland durchsetzen werden?
Gauerhof: Ich hoffe es natürlich, dass der Animationsfilm hier mehr wahrgenommen wird. Aber das liegt auch an der Förderung, und das Fernsehen prägt unsere Sehgewohnheiten. Wenn wir von klein auf damit groß werden, dass wir die "Sendung mit der Maus" gucken und alles, was dann im Bereich Animation in die Kinos kommt, ausschließlich Filme für Kinder sind, dann wird sich daran nicht viel ändern. Dementsprechend würde ich mir wünschen, dass neue Möglichkeiten aufgemacht werden und wir uns als Publikum auch trauen, uns auf Neues einzulassen. Immerhin gibt es auch durch die ganzen Streaming-Anbieter etwas neuen Wind. Da gibt es mehr Möglichkeiten, die Filme auszuwerten. Im Verleihbereich ist es so, dass sich die Filme rechnen müssen und meist nur von einem Verleih aufgenommen werden, wenn man ein gewisses Vermarktungspotenzial erkennt. Die Streaming-Anbieter hingegen wollen auch eine gewisse Breite abdecken. Nicht jeder Film muss gleich viel geklickt werden.
Gibt es denn überhaupt schon Studios in Deutschland, die sich damit befassen?
Gauerhof: Ja, es gibt kleinere Studios hier - die sind nicht mit den großen in den USA zu vergleichen. Dort wird meines Wissens viel mit Auftragsarbeiten gearbeitet. Zum Beispiel für Fernsehproduktionen, die kurze Animationen für eine Reportage oder einen Dokumentarfilm brauchen. Etwas schwieriger wird es bei kreativen Projekten, ohne Förderung werden die schnell zu teuer.
Warum sollte man sich denn auf das Abenteuer Animationsfilm einlassen?
Gauerhof: Ich glaube, man kann ganz anders in Animationsfilme eintauchen. Der kann einen ganz anders in den Bann ziehen, als vielleicht Charaktere, die aussehen wie Sie und ich. Das ist wie in einem Buch: Man kann da teilweise zwischen den Zeilen noch ganz viel lesen im Animationsfilm. Ich würde sagen, man sollte das Experiment einfach mal wagen. Unser Eröffnungsfilm-Konzert "Die rote Schildkröte" ist dafür perfekt, denn dieser Film berührt das Herz. Er berührt die großen Fragen des Lebens und ist sowohl für Kinder als auch für Erwachsene geeignet.
Das Gespräch führte Anina Pommerenke. Das Braunschweig International Film Festival, das noch bis zum 12. November läuft, ist Kulturpartner von NDR Kultur.