Staatstheater Hannover: "Unsere Elf. Eine etwas andere Nationalhymne"
Im Juni beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. In Niedersachsen wird dabei nicht gespielt. Das heißt: Doch! Am Staatstheater Hannover läuft jetzt bereits "Unsere Elf". Eine etwas andere Nationalhymne" von Tuğsal Moğul.
Der deutsche Dokumentar-Theatermacher mit türkischen Wurzeln, der zuletzt mit seinem Stück "And now Hanau" über den Terroranschlag in der hessischen Stadt für viel Aufsehen sorgte, hat ehemalige und aktuelle Fußballerinnen und Fußballer zu ihrem Verhältnis zur "Nation" befragt und daraus einen Theaterabend collagiert.
Es klingt ein bisschen schräg, wenn Fußballer singen. Aber gut, Singen ist ja auch nicht ihre Hauptaufgabe. Obwohl: Wichtig scheint es schon zu sein, wie Moğul erkannt hat: "1974 hat in der Nationalmannschaft zum Beispiel niemand gesungen. Da hat keiner von den Weltmeistern die Hymne gesungen. Und später, 2010, 2012, dann wurde es auf einmal ein Politikum, wenn man nicht mitsang. Da gab es dann ja auch diverse, sehr heftige Reaktionen auf Spieler, die die Hymne nicht mitgesungen haben. Die wären nicht würdig, für Deutschland zu spielen. Sie sollten aufhören. Das waren die besten Spieler, die die deutsche Elf haben konnte. Und da habe ich gemerkt, wie stark das doch politisierend ist, was dort passiert, obwohl es ja die schönste Nebensache der Welt ist."
Abbild und Einfluss der Geschichte
Den leidenschaftlichen Fußball-Fan, Arzt und viel beachteten Theatermacher ließ das nicht los. Seine Art, Theater zu machen, besteht darin, Menschen zu befragen, die unmittelbar mit dem Thema zu tun haben, das ihm unter den Nägeln brennt: Das waren Ärzte, die im Klinikalltag am Limit arbeiten - und auch darüber hinaus. Das waren die Hinterbliebenen des rassistisch motivierten Hanau-Attentats. Jetzt sind es Fußballerinnen und Fußballer der vergangenen 50 Jahre, mit deren Stimmen - begleitet von Musik - er "eine etwas andere Nationalhymne" anstimmen will.
"Wir haben versucht, bei dieser Hymne die verschiedenen Epochen des deutschen Fußballs widerzuspiegeln und haben uns ein paar Sachen ausgedacht, wo wir vielleicht Elemente drin haben, die auch Deutschland oder diese Nationalmannschaft verkörpern könnten. In diese Musik soll einfließen, was in der Geschichte auch passiert ist", erläutert Moğul.
1974 Eklat-trächtig: Der erste afro-deutsche Nationalspieler
Dass zum Beispiel aus zwei deutschen Staaten einer wurde. Dafür kommt auch ein DDR-Auswahlspieler zu Wort. Lothar Kurbjuweit, der 1974 beim WM-Spiel gegen die Bundesrepublik dabei war, das die DDR mit 1:0 gewann. Damals ein kleiner Sieg im großen "Klassenkampf". Das westdeutsche Fußballherz stand kurz vor dem Infarkt - zumal im selben Jahr mit Erwin Kostedde auch noch der erste afro-deutsche Spieler das Nationaltrikot überstreifte. Was seinerzeit das Zeug zum Eklat hatte.
Moğul hat mit Kostedde gesprochen: "Er erzählt ganz stark, wie fremd ihm das vorkam, als er die Hymne gehört hat. Und seine Geschichte ist natürlich unglaublich: Was er erzählt, ist ganz oft gegensätzlich zu den Wahrnehmungen, wie die anderen Nationalspieler von ihrer Nominierung und von ihrem ersten Länderspiel erzählen."
Gegenwart: Keine Diversität im Fußball?
Doch dabei bleibt es natürlich nicht. Moğuls Elf dribbelt sich durch bis in die Gegenwart: "Wir sind sehr gut aufgestellt. Wir spielen eine 4-4-3-Kette", sagt der Regisseur, der auch mit Silvia Neid und Merle Frohms geredet hat. Die frühere Bundestrainerin und die aktuelle Nationaltorhüterin vom VfL Wolfsburg sprechen für den Fußball der Frauen: Warum identifiziert sich Deutschland damit weniger als mit dem Fußball der Männer? Wie steht’s um die Vielfalt, die zum Leitbild des lange Zeit verstaubten DFB geworden ist und für Menschen wie Moğul so wichtig wäre. Oder findet Diversität doch nur in Werbekampagnen statt?
Ein Abend nicht nur für Fußball-Fans
Mit dem historischen Bogen, drängenden Fragen und lustigen Anekdoten aus erster Hand ist "Unsere Elf. Eine etwas andere Nationalhymne" nicht nur ein Abend für Fußball-Fans. Trotzdem stellt sich die Frage, wenn doch die Wahrheit bekanntlich auf dem Platz liegt: Was soll das im Theater? "Was Theater kann, ist die Unmittelbarkeit, also diese Nähe zum Publikum herstellen. Und das, was wir da erzählen, komprimiert in vielleicht 90 Minuten, sehr stark verdichtet, unmittelbar erzählen. Und dem Zuschauer ins Gesicht gucken, Kontakt aufnehmen." Tuğsal Moğul möchte mit seiner Elf auch die Utopie einer bunten Fußball-Republik vorführen. Auf dass sie nicht nur eine Utopie bleibe.
Staatstheater Hannover: "Unsere Elf. Eine etwas andere Nationalhymne"
Die Stimmencollage mit Fußballerinnen und Fußballern von Tuğsal Moğul soll nicht nur Fußballfans ansprechen.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ort:
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Staatstheater Hannover
Opernplatz 1
30159 Hannover - Telefon:
- 0511999900
- Preis:
- ab 16,50 Euro