Samuel Becketts "Endspiel" am St. Pauli Theater - eine Zeitreise
Das St. Pauli Theater feiert seine erste Premiere des Jahres. Vor 33 Jahren lief "Endspiel" schon einmal im Thalia Theater - unter der Intendanz von Jürgen Flimm. Nun stehen die Schauspieler von damals wieder gemeinsam auf der Bühne.
Da sitzt einer auf der Bühne und hat einen Laken über dem Kopf. Er ist aber kein Gespenst, sondern Hamm, gespielt von Sven-Eric Bechtolf. Clov, gespielt von Stefan Kurt, kümmert sich um ihn. Clov bewegt sich tänzelnd, wie Charlie Chaplin, hat einen roten Frack an, wie ein Zirkusdirektor.
Hamm: "Du verpestest die Luft. Mach mich fertig, ich will mich schlafen legen."
Clov: "Ich habe dich gerade geweckt."
Hamm: "Ja, na und?"
Clov: "Ich kann dich nicht alle fünf Minuten wecken und wieder schlafen legen, ich habe zu tun."
Dialog aus "Endspiel"
"Endspiel" von Samuel Beckett. Es spielt in einer nicht exakt definierten Zeit, kurz nachdem eine große Katastrophe weite Teile der Menschheit ausgelöscht hat. Die Bühne ist karg, schwarz. Bis auf den Stuhl, auf dem Hamm sitzt und einer Klappleiter, die Clov hin und wieder nutzt, um die Ferne zu schauen, gibt es nichts. Es ist alles absurd, alles unklar. Absicht.
"Merkwürdigerweise hat das Ding auch Humor und Witz und ist auf eine verzweifelte Art lustig, aber immer dabei auch menschlich, es hat eine humane Dimension", sagt Sven-Eric Bechtolf. Er und Stefan Kurt haben schon einmal "Endspiel" in Hamburg gegeben. Vor 33 Jahren in der gleichen Inszenierung am Thalia Theater.
Großer Erfolg unter Jürgen Flimm
Das war damals ein großer Erfolg. Intendant zu der Zeit war der legendäre Jürgen Flimm. Auf seiner Trauerfeier im vergangenen Jahr beschlossen die Schauspieler, auch Jürgen Flimm zu Ehren, es nochmal zu spielen. Damals, 1991, war "Endspiel" eine Reaktion auf einen Notruf des Intendanten. Dem war ein Stück weggebrochen.
"Wolf Sprenger, der mit uns am Thalia Theater war und auch Regisseur damals, hat gesagt, ok, dann machen wir 'Endspiel'. Dann wurde das ganz schnell gemacht. Damals waren unsere Gehirne noch blitzschnell und geölt, haben wir also den Text in 24 Stunden gelernt. Der Text sitzt immer, noch, auch 33 Jahre später.
Setz dich drauf. – Richtig. Und ich kann mich nicht setzen. – Und ich kann nicht stehen. – So ist es. – Jedem seine Spezialität. *Stepptanz* Dialog aus "Endspiel"
Und dann tanzen sie. Das Stück ist schon wirklich was besonderes. Eine Komödie, aber kein Schenkelklopfer, apokalyptisch, aber nicht düster. Nach so vielen Jahren wieder in diese Rollen zu schlüpfen, das war… "Seltsamst. Ganz eigenartig. Weil man die Klänge aus seiner Jugend sozusagen noch im Kopf hat. Und dann sich denkt, eigentlich müsse da doch irgendwas dazugekommen sein. Sei es Weisheit oder Mittelbeherrschung", sagt Bechtolf.
Auch Stefan Kurt, der im Stück viel die Leiter, die als Bild für eine Treppe steht, rauf- und runterklettern muss, merkt, dass viel Zeit vergangen ist: "Ich hab mit Schrecken festgestellt: Früher bin ich die Treppe runtergerutscht. Und jetzt wollte ich das auch machen, es ging nicht mehr. Also mit 65 ist jetzt schwierig. Jetzt geh ich die Treppe runter. Ich hoffe, es ist genau so komisch. "
Auch im Stück ist Zeit vergangen. Hamm und Clov warten und warten und warten und wissen im Grunde nicht worauf. In vielerlei Hinsicht ist dieses "Endspiel" eine Zeitreise.
Es ist Zeit, dass es endet. Schluss damit. Und doch zögere ich, ich zögere noch. Dialog aus "Endspiel"
Premiere ist am 6. Januar 2024 im St. Pauli Theater, weitere Vorstellungen bis 10. Januar.