"Meine geniale Freundin" am Thalia Theater geht unter die Haut
Mehr als zehn Millionen Leser und Leserinnen weltweit hat die "Neapolitanische Saga" der Bestsellerautorin Elena Ferrante. "Meine geniale Freundin" hat nun im Hamburger Thalia Theater Premiere gefeiert.
Freundschaft, durch Dick und Dünn - an diesem Abend wird klar: Sie ist mehr als tiefe Sympathie, mehr als schöne Erinnerungen. Sie ist auch Gewalt - Gewalt, die zum Weiterleben zwingt.
"Bleib hier, friss nicht alles in dich hinein. Komm, komm, komm! Du solltest dir die Dinge von der Seele reden!" Bühnenzitat
Elena packt Lila am Kopf, reißt sie an sich, wie um zu sagen: Gib nicht auf! Rosa Thormeyer und Anna Blomeier - wie Spiegelbilder: langes dunkles Haar, enger Rock, Bluse - spielen bis in die kleinste Faser glaubwürdig. Grund für Lilas Verzweiflung: Ihre kleine Tochter ist verschwunden. Nichts ist mehr wie früher.
Elena Ferrantes "Meine geniale Freundin" im Thalia Theater
An diesem mit drei Stunden langen, aber nicht zu langen Abend im Thalia Theater wird pausenlos geredet. Elena Ferrantes vierter und letzter Roman "Die Geschichte des verlorenen Kindes" ihrer "Neapolitanischen Saga" ist die Grundlage. Regisseurin Ewelina Marciniak erzeugt einen erzählerischen Fluss, der vom ersten Moment an unter die Haut geht: Die Bühne sieht bis zur Pause aus wie ein superschickes Loft in edlem Siena-Rot mit Bücherregalen bis in den Bühnenhimmel.
Die Story kann man auch ohne die Bücher gelesen zu haben verstehen: Elena und Lila sind Schulfreundinnen aus Neapel. Elena ging weg, um als Schriftstellerin Karriere zu machen. Lila blieb in Neapel.
Zwischen Mafia-Story und Surrealismus
Die Handlung beginnt wie ein Rückblick, als Elena sich entschließt, ihren Mann und Vater ihrer Töchter zu verlassen. Sie zieht mit ihrem Liebhaber zurück nach Neapel, eine Stadt, die hier von vornherein als schön, tödlich und porös erscheint - bis hin zu einem Erdbeben! Das wird hier zu einem echten Bühnen-Happening. "Die Bühnenszenen haben mir gut gefallen, wie zum Beispiel die Darstellung des Erdbebens. Manchmal hat mich die Kreativität ein bisschen überfordert", findet eine Zuschauerin.
In Neapel treffen sich die Freundinnen wieder. Beide werden gleichzeitig schwanger - Elena kommt wegen ihrer Bücher in Konflikt mit der Mafia. Das ist beinahe fernsehrealistisch gespielt, hat aber immer surreale Einsprengsel, als blickten wir einer Autorin beim Schreiben über die Schulter. Anders als die Frauen wirken die Männerfiguren eher wie Prototypen: von zart bis hart, bis zum toxischen Mafioso - glaubhaft gespielt von André Szymanski.
"Ich werde dir alles nehmen, was du hast."
"Den letzten Satz spuckt er aus, als ob sich ihm der Magen umdreht. Und als Reaktion auf diesen körperlichen Schmerz schlägt er Lila mit der Faust mitten ins Gesicht und wirft sie zu Boden."
Bühnenzitat
Ein Theaterabend über weibliche Kraft
Elena Ferrante, die Autorin der "Neapolitanischen Saga", ist bis heute unsichtbar. Auch hier, in diesem bewegenden Theaterabend, geht es ums Verschwinden, ums Untertauchen. Das Kind Lilas - hat es die Mafia entführt? Hier verbindet die Regisseurin die Wirklichkeit geschickt mit der Fiktion.
Die Bühnenästhetik schwankt zwischen Styropor-Vesuv im Hintergrund und Sandro Botticelli-Kopie. Das ist etwas zu süffig, genauso wie die Tänze auf der Bühne. Trotzdem: Der Regie und dem Ensemble gelingt ein körperlicher Abend, ein Abend über weibliche Kraft. Ein echter Glücksfall.
"Meine geniale Freundin" am Thalia Theater geht unter die Haut
Premiere der Bühnenfassung des vierten Bands der "Neapolitanischen Saga" von Elena Ferrante in Hamburg.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ende:
- Ort:
-
Thalia Theater
Alstertor
20095 Hamburg - Preis:
- ab 9 Euro
- Hinweis:
- Mit:
Rosa Thormeyer (Elena Greco)
Anna Blomeier (Lila Cerullo)
Sebastian Zimmler (Nino Sarratore)
Sandra Flubacher (Immacolata Greco)
Christiane von Poelnitz (Adele Airota)
Jirka Zett (Pietro Airota)
André Szymanski (Michele Solara)
Meryem Öz (Carmen Peluso)
Julian Greis (Enzo Scanno)Alina Sophie Müller / Clara Marie Pinter (Dede)
Filippa Valet / Theresa Zölch (Elsa)