"Gefährliche Liebschaften" im St. Pauli Theater: Ohne Haltung und Konzept
Das Stück "Gefährliche Liebschaften" hat am Sonnabend das Hamburger Theater Festival eröffnet. Dabei lesen Caroline Peters und Martin Wuttke einen Briefroman von 1782 vom Blatt ab. Dass sie nur ein paar Tage geprobt haben, merkt man leider.
Vor der Premiere muss man über Glassplitter, an tausenden bunt gekleideten Schlagerfans mit Perücken und Hawaii-Blumenketten auf der Reeperbahn vorbei: Es ist Schlagermove in Hamburg! Und drinnen, im gediegenen St. Pauli Theater? Sieht man zwei bunt gekleideten Schauspielern vor Glitzervorhang und mit Perücke dabei zu, wie sie auf einem Sofa, Marke Gelsenkirchener Barock, Theater von vorvorgestern spielen.
Spielen ist die höchste Form von Ernst! Martin Wuttke als Vicomte de Valmont in "Gefährliche Liebschaften"
Sie, das sind Caroline Peters und Martin Wuttke, zwei Stars in Rokoko-Kostümen. Sie hat einen Schönheitsfleck auf der Wange und eine Skorpion-Tätowierung auf dem Dekolleté, er trägt ein verlottertes Pluderhemd mit weitem Ausschnitt, auf der Brust hat er zwei züngelnde Schlangen. Soll heißen: Hier kämpfen menschliche Raubtiere gegeneinander.
Caroline Peters und Martin Wuttke lesen Briefroman vom Blatt ab
Die Marquise de Merteuil und der Vicomte de Valmont, zwei verkommene Adelige vor der französischen Revolution, schreiben sich Briefe. Darin schmieden sie Intrigen, umschmeicheln einander, begehren und hassen sich. Das Original von "Gefährliche Liebschaften" ist ein Briefroman von 1782, der hier mit Livemusik aufgepeppt wird.
An diesem Abend liest das Duo Peters und Wuttke die Briefe vom Blatt ab. Sie haben nur ein paar Tage dafür geprobt - und das merkt man leider. Eine Zuschauerin: "Ich fand’s am Anfang befremdlich, habe gedacht: Hatten die nicht genug Zeit gehabt, um ihre Rollen auswendig zu lernen?"
Seitenweises Schwadronieren über eine Vergewaltigung
So wird kein echter Theaterabend daraus. Das unfassbar Eitle der szenischen Einrichtung von Jan Bosse: Zwei Theater-Schwergewichte tun so, als seien sie die sinnlichsten und verdorbensten Wesen auf dem Erdball. Nur, man spürt davon nichts. Sie fläzen sich ins alte Möbelstück, rauchen frivol Zigarette, grinsen dämonisch. Besonders Martin Wuttke schmeckt jedes Wort ab wie Konfekt, streckt lüstern die Zunge raus, schreit, dass es wehtut.
Beim Hamburger Theaterfestival steigt das Puderperücken-Steh- und Dröhn-Theater mit Macht aus der Gruft. Was aber an der Fassung von John von Düffel besonders ärgerlich ist: Da schwadronieren die beiden seitenweise über die geplante Vergewaltigung einer 15-jährigen Klosterschülerin. Steht so im Original, klingt heute umso abstoßender.
Erst im Morgengrauen kam ich wieder in mein Zimmer und war ganz kaputt. Martin Wuttke als Vicomte de Valmont in "Gefährliche Liebschaften"
Keine Brechung, kein doppelter Boden
Ohne einen Funken Brechung, ohne doppelten Boden werden die Zeilen gelesen. Was hat sich das Team dabei gedacht? Diese szenische Lesung hat weder Haltung noch Konzept. "15 Jahre alt - das hat einem schon aufgestoßen. Das war harter Tobak", sagt eine Besucherin danach. "Ich fand’s ein bisschen an der Grenze", erzählt ein anderer. "Und ich finde es ungewöhnlich, dass man ein komplettes Theaterstück vom Blatt abliest, nichts im Kopf hat. Für mich eine Vier minus."
Hamburger Theater Festival: Sibel Kekilli spielt in "Fremd"
Das Hamburger Theaterfestival zeigt bis Ende Juni schwergewichtige und gefeierte Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum, mit Stars wie Lars Eidinger und Joachim Meyerhoff. Als nächstes Stück einen Text der Stunde, für den es sogar noch Karten gibt: "Fremd", geschrieben von Michel Friedman, gespielt von Sibel Kekilli. Hier könnte das Hamburger Theaterfestival mal wirklich zeitgemäß werden.
"Gefährliche Liebschaften" im St. Pauli Theater: Ohne Haltung und Konzept
Für die Eröffnungspremiere des Hamburger Theater Festivals haben Caroline Peters und Martin Wuttke nur ein paar Tage geprobt - das merkt man leider.
- Art:
- Bühne
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St. Pauli Theater
Spielbudenplatz 29-30
20359 Hamburg