Eine Frau und ein Mann stehen auf einer Bühne und gestikulieren. © Krafft Angerer
Eine Frau und ein Mann stehen auf einer Bühne und gestikulieren. © Krafft Angerer
Eine Frau und ein Mann stehen auf einer Bühne und gestikulieren. © Krafft Angerer
AUDIO: Dörte Hansens "Der Apfelgarten" im Thalia Theater: "Moin, moin!" (5 Min)

Dörte Hansens "Der Apfelgarten" im Thalia Theater: "Moin, moin!"

Stand: 12.10.2024 09:11 Uhr

Für die Produktion am Hamburger Thalia Theater hat Bestsellerautorin Dörte Hansen Anton Tschechows Komödie "Der Kirschgarten" ins Alte Land verlegt. Das liefert nicht viel Neues, dafür Klischees aus Norddeutschland am laufenden Band. Am Freitag war Premiere.

von Peter Helling

Am Ende ist Torben Grabowski am Ziel. Der Geschäftsmann hat den alten Hof und seinen Apfelgarten ersteigert - den Hof, wo er und seine Vorväter als einfache Landarbeiter gerackert haben. Jetzt haben sich die Verhältnisse gedreht. Die alten Besitzer, die nie ein Auge für ihn hatten, müssen gehen - aus, vorbei. Er ist der neue Herr. Und kündigt an: "Ich werde Tiny Häuser bauen und hier neues Leben sähen!"

Strahlend-weltfremde Berlin-Pflanze kommt ins Alte Land 

Am Anfang des Stücks kommt Astrid von Holt - Maja Schöne spielt sie als strahlend-weltfremde Berlin-Pflanze, die in ihrer Kultur-Bubble in Charlottenburg lebt - nach Jahren, komplett verschuldet, an ihren Kindheitsort mit dem schönen Apfelgarten zurück. Sie verdrängt, dass der Hof ihr nicht mehr gehört, sondern der Bank. Währenddessen seufzt ihre Mutter, die alte Beke von Holt, gespielt von Gabriela Maria Schmeide in Altländer Tracht, der Vergangenheit hinterher.  

Hochgebildet und hochverschuldet trifft auf Kultur-Banause, aber mit Kohle: Das ist der oberflächliche Plot des Dramas von Anton Tschechow. In der Version von Dörte Hansen und Regisseur Antú Romero Nunes heißen die Figuren schön norddeutsch Inken, Wiebke und Bert. Außerdem ist hier, im Alten Land, der Hund begraben. Höchstens Dorfmucke gibt es und, klar, den norddeutschen Herzschmerz-Song überhaupt, natürlich ironisch gebrochen: "Dat du min Leevsten büst".

Tschechows doppelbödiges Drama wird zum niedlichen Nostalgie-Mix 

Ein junger Mann und eine ältere Frau in Altenländer Tracht tanzen auf einer blau beleuchteten Bühne. © Krafft Angerer
Beke von Holt (Gabriela Maria Schmeide, hier mit Jirka Zett) trauert der Vergangenheit hinterher.  

"Der Kirschgarten" von Anton Tschechow ist eigentlich ein doppelbödiges Drama vom Ende einer Ära und dem Neuen, das noch keine Form hat. Ein Übergangsstück, fast zu gut passend zur letzten Spielzeit von Thalia-Intendant Joachim Lux. Hier wird das Stück zum niedlichen Nostalgie-Mix. 

Die kulturaffinen und feierlustigen Berliner, Stichwort: arm aber sexy, schauen auf die Neureichen herab. Bei aller witzigen Figurenzeichnung hat dieser Theaterabend auch nicht viel mehr zu erzählen. Mit viel Tempo, mit Lust am Überdrehen wird das Trauerspiel von Arm und Reich oberflächlich durchdekliniert. Alle fiebern auf die schicksalhafte Auktion hin, alle sind unglücklich - die einen mit Geschmack, die anderen ohne.

Was will Regisseur Antú Romero Nunes mit dem Abend sagen? 

Thomas Niehaus als Torben Grabowski spielt den Emporkömmling schön verschraubt und fast peinlich kriecherisch in Wachsjacke und Wildleder-Slippern mit Bommeln. Das hat Witz. Nur: Was will der Regisseur uns mit dem Abend sagen? Dass wir alle in einer Blase leben, die wir endlich verlassen sollten?

Die Geschichte aus dem alten Russland ins sehr heutige Alte Land vor Hamburgs Toren zu verlegen, bringt leider überhaupt nichts Neues - außer Norddeutschland-Klischees am laufenden Band. "Das war so platt. Tut mir leid, ich finde, das war fast ‘ne Klamotte", sagt dann auch ein Zuschauer beim Rausgehen. 

Leider keine Geschichte von heute

Der Hof von Astrid von Holt wird hier in einem eher rustikalen Bühnenbild gezeigt, mit himmelblauen Zimmerwänden und altem Eichenschrank. Hinten geht der Blick auf blühende Apfelbäume plus Windmühle und es schneit Blütenblätter. Irgendwann kommt ein bedrohliches Geräusch, der sorgfältig gemalte Bühnenhimmel färbt sich rot. Aber richtig tiefgründig-poetisch wird das Stück trotzdem nicht, obwohl genau darin sein Geheimnis, seine Kraft steckt. Am Ende werden die Apfelbäume gefällt. Dieser Kahlschlag ist leider keine Geschichte von heute.

Dörte Hansens "Der Apfelgarten" im Thalia Theater: "Moin, moin!"

Die Verlegung von Anton Tschechows "Kirschgarten" ins Alte Land liefert nicht viel Neues, dafür Klischees aus Norddeutschland am laufenden Band.

Art:
Bühne
Datum:
Ende:
Ort:
Thalia Theater
Alstertor
20095 Hamburg
Telefon:
040 328 14-444
E-Mail:
theaterkasse@thalia-theater.de
In meinen Kalender eintragen

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 12.10.2024 | 06:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Theater

Das Cover des Romans "Altes Land" von Dörte Hansen. © Knaus Verlag

Dörte Hansen: "Altes Land"

"Altes Land" heißt der erstaunliche Debütroman von Dörte Hansen, der lange nachklingt - wie das Ächzen und Knarren in dem Bauernhaus. Große Literatur aus Norddeutschland. mehr

Cover von Dörte Hansens "Zur See" © Penguin

"Zur See": Dörte Hansen schreibt vom Verschwinden an der Nordsee

Hansens bislang bestes Buch handelt vom Verschwinden. Es geht um eine alteingesessene Familie auf einer namenlosen Insel in der Nordsee. mehr

Eine Schale Kartoffelsalat mit einer Baskenmütze und einem Bild von Ernest Hemmingway. © NDR Foto: Katharina Mahrenholtz

eat.READ.sleep (1) - Kartoffelsalat mit Dörte Hansen

Der neue NDR Bücher-Podcast "eat.READ.sleep. Bücher für dich" soll Lust aufs Lesen machen. In der ersten Folge geht es um Krimis und Klassiker. Gast ist Autorin Dörte Hansen. mehr

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Ein Sänger steht auf einer Bühne, hält in einer Hand das Mikrofon und die andere ist nach oben gestreckt. © picture alliance / Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm Foto: Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm

Hurricane Festival: The Prodigy, Apache 207 und Sam Fender kommen 2025

Die englische Elektro-Punk-Band The Prodigy und ein Who-is-Who der deutschen Pop- und HipHop-Szene haben sich für 2025 angekündigt. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?