Junges Schauspielhaus in Hamburg Barmbek © picture alliance/dpa Markus Scholz Foto: Markus Scholz
Junges Schauspielhaus in Hamburg Barmbek © picture alliance/dpa Markus Scholz Foto: Markus Scholz
Junges Schauspielhaus in Hamburg Barmbek © picture alliance/dpa Markus Scholz Foto: Markus Scholz
AUDIO: Junges Schauspielhaus erzählt den Holocaust aus der Perspektive von Zootieren (3 Min)

Ein Stück über das Hinschauen: Tierparabel über den Holocaust

Stand: 04.04.2024 15:39 Uhr

Das neue Stück vom Jungen Schauspielhaus Hamburg arbeitet den Holocaust für Kinder ab elf Jahren auf: "Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute" feiert am 13. April Premiere.

von Peter Helling

Der Anfang ist fast idyllisch, leicht: Vier Schauspieler und Schauspielerinnen betreten lächelnd die Bühne im Jungen Schauspielhaus. Sie bauen einen großen rechteckigen Rahmen auf, bringen eine Discokugel, Stühle und eine bunte Decke herein. Dann beginnen sie zu erzählen:

"Stellt euch einen Zoo vor - einen Zoo vor vielen Jahren! Einen Schwarz-weiß-Foto-Zoo. Stellt euch einen Schwarz-weiß-Foto-Zoo vor - keinen sehr großen Schwarz-weiß-Foto-Zoo." Bühnenzitat

Wie eine nette Gute-Nacht-Geschichte

Die vier schlüpfen ganz spielerisch in die Rollen der Zootiere. Ein Pavianschrei, das Schnaufen eines Mufflons oder der französische Akzent eines blasierten Schwans genügen, um die Illusion zu erzeugen: Vier Menschen erzählen von Tieren in einem Zoo - wie eine nette Gute-Nacht-Geschichte, eine Geschichte am Lagerfeuer.

Regisseur Alexander Riemenschneider leitet die erste Bühnenprobe: "Es behandelt auf eine witzige und gleichzeitig berührende Art und Weise die Frage nach Zusehen oder Wegschauen in einer Parabel. Gleichzeitig geht es darum, wie wir mit Kindern über den Holocaust sprechen. Dieses Stück als Gesprächsanlass zu nutzen, war eine ganz tolle Entdeckung."

Weitere Informationen
Jara Bihler und Lennart Lemster in einer Szene des Theaterstücks "Ferdinand der Stier" © Maris Eufinger Foto: Maris Eufinger

"Ferdinand der Stier": Hymne ans Anderssein

Das Junge Schauspielhaus Hamburg zeigt bis zum Juni "Ferdinand der Stier" und trifft bei Jung und Alt einen Nerv. mehr

Eine Parabel für Jugendliche und Erwachsene

Denn diesen Zoo gab es wirklich im Konzentrationslager Buchenwald - kaum zu glauben. In dem Stück benehmen sich die Tiere wie Menschen, nur: Über den Zaun gucken sie nicht. Das ist tabu. Denn jenseits des Zauns wartet das Grauen des Lagers - bis eines Tages das Nashorn plötzlich tot im Käfig liegt.

"Das Murmeltier von nebenan entdeckte es eines Morgens beim Frühsport." Bühnenzitat

Was war geschehen? War wohl einfach zu kalt, sagen die einen. Aber das Murmeltier-Mädchen, gespielt von Severin Mauchle, bleibt misstrauisch:

"Ich glaube, murmelt das Murmeltier-Mädchen, das Nashorn hat etwas gesehen, worüber es so traurig wurde, dass es darum gestorben ist." Bühnenzitat

"Ich glaube, dass sich das Menschen angucken können, die in der siebten oder in der zwölften Klasse sind, und Menschen, die die Schule lang hinter sich gelassen haben. Manche sehen darin eine Geschichte über Bären und Paviane, manche können das verbinden mit einer deutschen Geschichte. Manche werden es mit Kriegssituationen überhaupt verbinden. Dafür ist die Fabel genau die richtige Form", sagt der Regisseur.

Die Geschichte durch die Augen der Tiere

Er geht durch den Bühnenraum, verbessert ein paar Positionen, während der Rahmen gedreht wird, schärft die Situationen. Die Tiere verraten viel über die Menschen: das Wegducken, Verschweigen. Alicja Rosinski spielt den erzkonservativen Pavian, Christine Ochsenhofer den störrischen Herrn Mufflon.

Bald wird klar: Durch die Augen der Tiere wird die dunkelste Seite der Geschichte anschaulich, nur durch Worte - denn gezeigt wird das Grauen des Holocaust hier nie direkt. Irgendwann kommt ein neuer Zoobewohner: ein Bärenjunge aus Sibirien - Hermann Book als leise schnaubendes Tier mit dem Herz am richtigen Fleck.

"Der Bär schaut auf die andere Seite des Zauns, wo sich der Schornstein in den Himmel bohrt, und was er da sieht, lässt ihn erschauern: Flammen schlagen aus dem Schlot, viele, viele Meter hoch." Bühnenzitat

"Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute" geht ans Herz

"Das Stück musste erstmal um mich werben", sagt Hermann Book. "Es ist grundsätzlich eine Geschichte über Zivilcourage, übers Hinschauen und Entscheidungentreffen, die vielleicht nicht leicht fallen."

Schon die Probe berührt. Auf dieses Stück über das Hingucken sollte man sich unbedingt einlassen: Es geht ans Herz, ohne einen Funken Belehrung - ein Stück für alle Generationen.

"Durch den Rauch hindurch kann der Bär die anderen Tiere sehen. Sie fressen und trinken, recken, stecken, putzen sich und gurgeln munter. Keines von ihnen schaut auf die andere Seite des Zauns. Das tut nur der Bär." Bühnenzitat

 

Weitere Informationen
Vier Personen auf der Bühne © Sinje Hasheider / Schauspielhaus Foto: Sinje Hasheider

"Du blöde Finsternis": Bedrückende Untergangsstimmung

Dieses Stück von Sam Steiner, einem der angesagtesten jungen englischen Autoren, hat es in sich. Es wird im Jungen Schauspielhaus gespielt. mehr

Ein Stück über das Hinschauen: Tierparabel über den Holocaust

"Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute" für Kinder feiert am Jungen Schauspielhaus Hamburg Premiere.

Art:
Bühne
Datum:
Ende:
Ort:
Junges Schauspielhaus Hamburg
Wiesendamm 28
22305 Hamburg
Preis:
15 Euro
Hinweis:
Mit: Hermann Book, Severin Mauchle, Christine Ochsenhofer, Alicja Rosinski
Regie: Alexander Riemenschneider
Bühne: David Hohmann
Kostüme: Lili Wanner
Dramaturgie: Mia Massmann
In meinen Kalender eintragen

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Kulturjournal | 04.04.2024 | 19:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Theater

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Bunte Urnen stehen im Regal © NDR.de Foto: Tabea Pander

Wandel der Bestattungskultur: Trauerarbeit darf bunt sein

Beerdigungen müssen nicht immer mit der Farbe Schwarz zusammengebracht werden. Patricia Hansen aus Jesteburg gestaltet Urnen und Särge mit viel Farbe. mehr