Yaroslav Ivanenko: Der Mann, der die Spitzenschuhe nach Kiel brachte
Yaroslav Ivanenko leitet seit 13 Jahren das Kieler Ballett. Nach einer Zeit, in der zeitgenössischer Tanz im Vordergrund gestanden hatte, brachte der Ukrainer das neoklassische Ballett an die Förde.
Klassische Musik klingt aus dem Probensaal im Opernhaus Kiel. Junge Tänzerinnen und Tänzer dehnen sich am Rand des Saals, unterhalten sich leise und beobachten dabei, wie Ricardo in der Mitte des Saals seinen Part übt. Er springt, dreht sich, arbeitet hart - am Rand sitzen Olena Filipieva und Yaroslav Ivanenko, nicken, lassen die Musik immer wieder anhalten, geben Tipps. "Try to breath more and do not jump so much", rät Ivanenko. Der 48-Jährige unterstützt an diesem Tag seine Kollegin beim Training ihrer Inszenierung von "Giselle". Eine von vielen Aufgaben des Ballettdirektors und Chefchoreografen des Kieler Balletts.
Neoklassisches Ballett nach Kiel gebracht
Seit fast 13 Jahren trainiert Yaroslav Ivanenko hier seine Tänzer. Als er zur Spielzeit 2011/12 nach Kiel kam, war es seine erste Stelle als Choreograf, vorher war er als Tänzer beschäftigt gewesen. "Ich war sehr glücklich über dieses Engagement: Eine eigene Ballettcompagnie, ein Ballettsaal, das war der Hammer für mich", erinnert er sich. Doch nach der ersten Freude kam die Arbeit: "Wir haben bei Null begonnen, haben Vortanzen gemacht und mussten eine ganz neue Compagnie mit jungen Tänzern und einem neuen Repertoire aufbauen." Nach einer Zeit, in der zeitgenössischer Tanz im Vordergrund gestanden hatte, brachten Yaroslav Ivanenko und sein Team Spitzenschuhe und neoklassisches Ballett nach Kiel.
Kindheit: Ballett statt Volkstanz
Klassisches Ballett? Als Yaroslav Ivanenko noch ein Kind ist, kommt er zunächst nicht auf die Idee, dass ihm das Spaß machen könnte. Er will damals irgendeinen Sport machen: Schwimmen oder Fußball, wie das Jungen in seinem Alter damals tun. "Aber dann habe ich eine Volkstanzaufführung gesehen. Ich fand diese Energie, diese Emotion so beeindruckend - und wollte das unbedingt machen", erinnert er sich. Zehn Jahre ist er damals alt, lebt mit seinen Eltern, beide Bauingenieure, und seiner Schwester im damals noch sowjetischen Kiew. Um zum Volkstanz zu kommen müssen die Kinder damals jedoch erstmal eine klassische Ballettausbildung machen. Seine Eltern haben nichts dagegen - und Yaroslav beginnt zu tanzen. Die klassische Vorausbildung gefällt ihm. Er bleibt dabei.
Ich war manchmal so müde. Einmal habe ich abends mit meinen Freunden eine Vorstellung von Schwanensee besucht - und bin dabei eingeschlafen. Yaroslav Ivanenko
Ausbildung: Hartes körperliches Training
Das Hobby wird zu seiner Passion. Er tanzt und tanzt. Yaroslav Ivanenko wird am Nationalen Konservatorium der Künste in seiner Heimatstadt aufgenommen, lernt dort acht Jahre lang alles über Ballett und macht gleichzeitig seinen Schulabschluss. "Es war eine wunderbare Zeit für mich. Diese künstlerische Atmosphäre war sehr interessant. Wir haben viel gelernt über klassische Musik, moderne Musik, Tanz, Choreografie und übers Schminken", erzählt Ivanenko. Aber er erinnert sich auch an eine körperlich harte Zeit. "Wir waren von 8 Uhr morgens bis 18 oder 19 Uhr abends in der Ballettschule. Ich war manchmal so müde. Einmal habe ich abends mit meinen Freunden eine Vorstellung von Schwanensee besucht - und bin dabei eingeschlafen." Aber das ist in Ordnung für ihn. "Ich wusste, diesen Weg will ich weitergehen."
Junger Tänzer: Engagements an vielen Bühnen
Und er geht ihn weiter. 1993, mit 18 Jahren, wird er als Tänzer an der Nationaloper in Kiew engagiert. "Da haben über 1.200 Leute gearbeitet, allein die Ballettcompagnie hatte 150 Tänzer und ein großes klassisches Repertoire", erinnert er sich. "Das war eine große Herausforderung für mich. Ich habe dort viel gelernt." Nach drei Jahren an der Nationaloper wird er an Bühnen in Tschechien und in der Slowakei verpflichtet.
Hamburg: Lernen mit John Neumeier
1998 kommt Yaroslav Ivanenko nach Hamburg. Unter John Neumeier tanzt er am Hamburg Ballett auch viele Solopartien - und sammelt erste choreografische Erfahrungen. "John Neumeier ist nicht nur ein guter Choreograph, er ist auch ein sehr intelligenter Mensch. Und er spricht gerne über seine Choreographien. Für mich war es wunderbar zu sehen, wie dieser ganze Prozess bis zum fertigen Stück funktioniert", fasst Ivanenko zusammen.
Kiel: Vom Tänzer zum Choreograph
Nach Kiel geht er 2011 gemeinsam mit seinem gerade geborenen Sohn und seiner Frau Heather Jurgensen. Am Hamburg Ballett hatte sie als erste Solistin getanzt, in Kiel wird sie nun stellvertretende Balletdirektorin. "Ich mag das Wasser hier: Laboe, den Strand Falckenstein", so Ivanenko. Bis heute ist der Kontakt zu vielen alten Freunden nach Hamburg geblieben. Und auch in die Ukraine besteht der Kontakt fort. "Ein Onkel von mir lebt da noch, trotz des Krieges. Wir telefonieren häufig", sagt Ivanenko. Seine Eltern holt Yaroslav Ivanenko bereits vor zwei Jahren aus der Ukraine an die Förde. "Vor allem meiner Mutter gefällt es. Sie gibt sich alle Mühe, Deutsch zu lernen", erzählt er.
Krieg: Einige Tänzer kommen nach Kiel
Während des russischen Angriffskriegs bekommt Yaroslav Ivanenko viele Anfragen von ukrainischen Tänzern, die ins Ausland geflüchtet sind und nun nach Arbeit suchten. Drei Tänzer können er und sein Team Arbeit geben. Auch eine ukrainische Gastballetmeisterin arbeitet derzeit am Ballett in Kiel.
Zeit bei den Proben ist wichtig
Yaroslav Ivanenko ist stolz auf sein Team. "Nach 13 Jahren sind wir eine starke Compagnie und haben ein gutes Repertoire." Angefangen vom "Nussknacker", seiner ersten Inszenierung, die seit 13 Spielzeiten regelmäßig ausverkauft ist, über "Schwanensee", "Cinderella", dem Musical "West Side Story", Ivanenkos Neuinterpretation von Goethes "Faust" oder seiner modernen Produktion "Solitär". Yaroslav Ivanenko ist gerne kreativ, experimentiert und wagt Neues. Aktuell unterstützt er junge Choreografen bei einer Gemeinschaftsarbeit, die aktuell im Schauspielhaus zu sehen ist. In der nächsten Spielzeit inszeniert er Shakespeares "Ein Sommernachtstraum". Wichtig ist ihm, bei den Proben so viel Zeit zu haben, dass ein harmonisches Arbeiten im Team möglich ist. "Wenn das läuft, dann kommt auch der Spaß", weiß er.