Eine Heimatzeitung und jugendlicher Hass: Shida Bazyar in Hannover
Nirvana hören und Tagebuch schreiben, damit hat die aus einem Kaff bei Trier stammende Autorin Shida Bazyar ihre Jugend verbracht. Necati Öziri sprach in Hannover mit ihr über Herkunft und Inspiration.
Wie üblich beginnt Gastgeber Necati Öziri das Gespräch mit einer Frage: "Was bringst du mit?" Es ist eine Zeitung, die Shida Bazyar in den Händen hält: "Ja, ich bringe mit: eine Zeitung, die jede Woche bei den Menschen, die in Hermeskeil und Umgebung leben, im Briefkasten liegt. Das ist die 'Rund um Hermeskeil'." Später wird Öziri seine Schriftsteller-Kollegin Shida Bazyar noch fragen, was sie da lasse.
Deniz Utlu und Max Czollek waren auch schon Gäste
Es sind die beiden Fragen, die Necati Öziri all seinen Gästen bei der Literaturreihe "Poetic Justice" stellt. Vor der fast ausverkauften Cumberlandschen Bühne am Staatstheater Hannover mit auffallend jungem Publikum sitzt er auf einem Sofa in einem Wohnzimmer mit Grünpflanzen und Regalen voller Hinterlassenschaften seiner Gäste. Links ein Foto des Schriftstellers Deniz Utlu aus dem Inneren eines Flugzeugs bei Notlandung, rechts ein Baseballschläger von Autor Max Czollek. Sie beide waren schon Gast bei Öziri.
Nun also die Lokalzeitung aus dem Heimatort von Shida Bazyar: Hermeskeil unweit von Trier. "Also der Ort, an und für sich – ich habe da 18 Jahre lang gelitten. Ich hab´ es gehasst dort. Also ich hab wirklich meine Jugend damit verbracht, in meinem Zimmer zu liegen, Nirvana zu hören und Tagebuch zu schreiben", erzählt sie.
Die eigenen Eltern befragt
Es geht viel um Herkunft an diesem Abend. Um die iranisch-deutsche Familie in ihrem ersten Roman "Nachts ist es leise in Teheran" - wie ihre eigene mit Verbindungen in zwei Welten. Um drei Frauen im zweiten Roman "Drei Kameradinnen", ihr gemeinsames Aufwachsen in einer Siedlung, wie es eine in Hermeskeil gab.
Für diese Texte hat sie ihre Eltern befragt, in ihrer Heimat im Hunsrück recherchiert – das Reale ins Fiktive übersetzt. Es geht um eine geflohene Familie und ihre Perspektive 1989. "Da ist eine geflüchteten Frau in Deutschland, die eigentlich studiert hat in Teheran, die eigentlich einen Bildungs-Background hat oder zumindest dabei war, sich zu erarbeiten", erzählt Shida Bazyar. Es ist eine Frau, die von ihrem Umfeld erstmal eher als schweigend wahrgenommen wird, die aber in ihrer Innenperspektive meist schlauer ist.
Viele Gemeinsamkeiten zwischen Öziri und Bazyar
Zwischen Gastgeber und Gast stimmt die Chemie. Extrem entspannt und klug fließt das Gespräch, während am Rand der Samowar das Teewasser für alle heizt. Erstaunt stellen sie fest, dass sie beide zu ähnlichen Zeiten in Berlin Stipendiaten der Heinrich-Böll-Stiftung waren. Sie sind beide 1988 geboren, waren mit Romanen für den Deutschen Buchpreis nominiert, haben Eltern mit Wurzeln im Ausland. Thema auch in einem unveröffentlichten Text von Shida Bazyar, der einmal ein Roman über das Ankommen, die Migration in den 1980er- und 1990er-Jahren werden könnte.
Wer ihn in Berlin kennenlernte, der interessierte sich nicht für seine Vorgeschichte. Wenn jemand das doch tat und mit Kategorien mutmaßte, dann lauteten die eher so Ruhrpott, Gastarbeiterkind oder Eltern haben Einzelhandel. Dass er Türke war, nahmen sowieso alle immer an, er wusste nicht wieso. Vielleicht waren die einfach berühmter. Kurden auf dem Dorf, das war weniger etwas, was einem im Tatort begegnet. Zitat aus einem Text von Shida Bazyar
"Poetic Justice", wie die Literaturreihe in Hannover heißt, würde jetzt bedeuten, dass neben dem gebürtigen Kurden auch seine Freundin ihr eigenes Kapitel bekäme, poetische Gerechtigkeit eben, überlegt Necati Öziri. Mit der Frage, was Shida Bazyar sich selbst als 16-Jährige mitgeben würde, die sich auf einen Jugend-Literaturwettbewerb bewirbt, wie sie selbst es einst tat, antwortet sie am Ende des Abends: "Schreib deine nur Texte für dich."