Asmik Grigorian: "Habe die Salome immer im Körper"
Am Sonntag feierte "Salome" an der Staatsoper Hamburg seine Premiere in einer Neuinszenierung von Dmitri Tcherniakov. Im Gespräch mit NDR Kultur verriet die litauische Sopranistin Asmik Grigorian, was die Rolle für sie so besonders macht.
Als die litauische Sopranistin Asmik Grigorian 2018 bei den Salzburger Festspielen die Titelpartie in der "Salome" von Richard Strauss sang, wurde sie über Nacht zum Weltstar. Erst vor wenigen Wochen wurde sie mit dem Opus Klassik als "Sängerin des Jahres" gekürt. Nun hat sie ihre Paraderolle in Hamburg gesungen. NDR Kultur hat vorab mit ihr gesprochen.
Was sind für Sie die besonderen Herausforderungen dieser Rolle?
Asmik Grigorian: Schon als ich die Salome zum ersten Mal einstudiert habe, dachte ich sofort: Das kann ich eigentlich jeden Tag singen. Die Rolle ist anspruchsvoll, aber gleichzeitig fühle ich mich damit sehr wohl. Wir haben alle verschiedene Instrumente und Körper. Für mich ist es mit der Salome fast anders herum als bei anderen: Wenn ich mich stimmlich oder technisch mal nicht so wohl fühle, gehe ich zur Salome zurück, um wieder meine Stimme zu finden.
Was liegt in der Musik, dass Sie sagen: 'Das bringt mich wieder zu mir selbst, zu meiner Stimme'?
Grigorian: Ich habe mich lange auf diese Rolle vorbereitet. Schon damals in Salzburg mit dem Dirigenten Franz Welser-Möst und meinem hervorragenden Coach Peggy Marmuth. Wir haben wirklich an jedem einzelnen Ton, jedem Wort der Partie intensiv gearbeitet. Deswegen habe ich die Salome immer in meinem Körper - auf die richtige Weise. Wenn mich etwas Neues technisch aus dem Lot bringt, kann ich dorthin zurückkehren.
Die Salome ist so vielschichtig als Figur. Sie ist hin- und hergerissen in der Welt, in ihren Gefühlen. Was steht für Sie im Vordergrund bei Salomes Charakter?
Grigorian: Das ist schwer zu sagen. Die einzige Frau, die ich wirklich gut kenne, bin ich selbst. In jeder Rolle, die ich spiele, bin ich also auch noch ich selbst. Natürlich gibt es verschiedene Umstände und Situationen im Leben. Aber das bin immer noch Ich. Ich kann mir auch vorstellen, als Person selbst alles zu sein. Es gibt bei mir auch nicht die eine Sache oder die eine Seite, mit der ich mich beschreiben würde. Es stecken Tausende Farben und Charaktere in mir.
Die Salome hat diese große Liebe einerseits - sie geht aber so weit, dass sie den Tod des Propheten Jochanaan einfordert. Was bringt sie dazu?
Grigorian: Es ist schwer zu sagen, was einen Mörder umtreibt. Ich habe das noch nie erlebt, ich weiß es also nicht wirklich. Aber so wie ich es sehe, sehnen wir uns alle nach Liebe. Wir alle haben schon mal eine Zurückweisung erlebt. Und wir reagieren darauf alle gleich - gerade wir Frauen. Wir schlagen keine Köpfe ab. Das gehört sich heute nicht mehr. Aber wir gehen alle durch diese Gefühle von Hass, Schmerz und Selbstwert-Probleme. Deswegen sehe ich diese Geschichte vor allem von der psychologischen Seite - so wie vermutlich auch der Librettist Oscar Wilde. Ich habe die Oper jedenfalls nie als eine biblische Geschichte gesehen. Für mich als eine Frau, die auch schon Ablehnung erfahren hat, ist das alles ganz klar. Diese Gefühle, der Schmerz, der sich in Wut verwandeln kann. Der Selbsthass, der Wunsch, alles um einen herum zu zerstören, weil man sich selbst zerstören will.
Jetzt arbeiten Sie hier mit Dmitri Tcherniakov. In Salzburg war es 2018 die Regiearbeit von Romeo Castellucci. Die beiden wählen sicher einen sehr unterschiedlichen Blick. Hat Tcherniakov einen Blick, der auch Ihnen nochmal was Neues an der Salome zeigt?
Grigorian: Es geht nicht nur darum, die Rolle und mich selbst zu kennen. Sondern ganz grundsätzlich diesen großartigen Regisseuren zu begegnen, die die größten Psychologen sind. Es ist die Art und Weise, wie Dmitri auf die Welt schaut, welche Details er wahrnimmt. Mit diesem Blick öffnet er natürlich auch neue Farben in mir. Ich würde nicht unbedingt von neuen Farben in der Rolle sprechen. Denn wie gesagt: Ich bin auch als Salome immer noch ich selbst. Es gibt also auf jeden Fall Dinge, die neu sind und anders.
Wie nah lassen Sie die Rollen an sich heran? Die Salome ist eine unglaublich intensive Oper. Die "Lady Macbeth", die sie jetzt in Salzburg gesungen haben, ist auch eine sehr intensive Rolle.
Grigorian: Das ist genau das, was ich meine. Ich suche die Rollen nicht im Außen, ich bringe sie nicht zu mir. Es ist das Gegenteil. Ich bringe mich zu der Rolle. Dann muss ich auch nicht wieder aus der Rolle heraustreten. Alle diese Rollen - das bin ich. Da gibt es nicht mehr als mich selbst.
Sie haben mal in einem Interview gesagt, dass Sie das Gefühl haben, eine Ihrer Stärken sei, schön sterben zu können. Was meinen Sie damit?
Grigorian: Ich bin grundsätzlich eher eine introvertierte Person. Ich tendiere dazu, mich zurückzuziehen und mich zu verstecken. Seit ich angefangen habe, waren für mich der erste und zweite Akt immer ein Problem, wenn man so nach außen gekehrt sein, strahlen und sich zeigen muss. Das war schon immer ein Problem für mich. Ich bin schon eine offene Person. Aber dieses Showing-Off hat noch nie zu mir gehört: Brust raus, ausgebreitete Arme, glücklich. Ich bin glücklich, aber das ist was anderes. Wenn es in den Opern zu den Monologen kommt, wo man eher im Inneren ist, - das war schon immer einfacher für mich. Der Tod? Den habe ich wahrscheinlich schon immer besser verstanden als das Leben.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.