Wiedereröffnung des Thalia Theaters vor 75 Jahren
Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Thalia Theater durch eine Minenbombe schwer beschädigt. Vor 75 Jahren wurde es wieder eröffnet. Das erste Stück: Shakespeares "Was ihr wollt".
Es war ein Akt der Selbstbehauptung und der Zuversicht, als das Thalia Theater am Hamburger Alstertor anderthalb Jahre nach Kriegsende seinen Spielbetrieb wieder aufnahm. Obwohl das Gebäude im April 1945 schwer beschädigt worden war. Eine Minenbombe hatte den hinteren Teil, das sogenannte Bühnenhaus, komplett zerstört und das Dach des Zuschauerraums beschädigt. Bis das Gebäude wieder einigermaßen hergerichtet war, fanden die Vorstellungen in einer Schulaula und dem Gemeindehaus einer Kirche statt. Zum Intendanten wählte das Ensemble den politisch unbelasteten Schauspielerkollegen Willy Maertens. Er gehörte seit 1927 fest zum Haus und hatte während der Nazi-Zeit zu seiner jüdischen Frau, der Schauspielerin Charlotte Kramm, gehalten und sich nicht von ihr scheiden lassen. Sie war 1932 ans Thalia-Theater gekommen. Ab 1935 durfte sie es nicht mehr betreten und hatte bis 1945 Aufführungsverbot.
Durch einen Trick überlebte Charlotte Kramm
Einzig durch einen Trick überlebte Charlotte Kramm die Judenverfolgung, wie ihr Sohn, der 2020 verstorbene Schauspieler Peter Maertens, einmal erzählt hat. Seine Mutter habe sich als die nichteheliche Tochter eines preußischen Offiziers ausgegeben, der ihr bei seinem Tod nur ein Foto hinterlassen habe. Eine windige Geschichte, aber man glaubte sie ihr. Vielleicht auch, weil sie als Schauspielerin so überzeugend lügen konnte und Fürsprecher hatte, die sich für sie eingesetzt haben.
Neueröffnung mit Shakespeares "Was ihr wollt"
Als das Thalia Theater zur ersten Vorstellung einlud, war das Haus merklich kleiner als früher. Man hatte die Bühne in den Zuschauerraum verlegt und die defekte Decke mit Fallschirmseide abgehängt. Statt über 1.350 Plätze verfügte der Saal nur noch über die Hälfte. Auf dem Programm stand William Shakespeares berühmte Komödie "Was ihr wollt". Ein Verwirrspiel um vorgetäuschte Identitäten, unglückliche Liebe und das Sehnsuchtsreich Illyrien. Als sich am Ende doch noch die Paare finden, singt der Hofnarr, der wie immer leer ausgeht:
Und als ich ein winzig Bübchen war,
Hop heisa, bei Regen und Wind!
Da machten zwei nur eben ein Paar;
Denn der Regen, der regnet jeglichen Tag.
Zitat aus "Was ihr wollt"
Intendant Willy Maertens spielte die Rolle 1946 selbst. Knapp 20 Jahre zuvor war er als jugendlicher Komiker und Lebemann ans Thalia Theater gekommen und hatte sich schnell in die Herzen der Hamburger gespielt. Er war abonniert auf die leichtere Muse und so gestaltete er auch das Programm. Auf dem Spielplan standen viele Komödien. Das hatte Tradition am Alstertor. Mitte des 19. Jahrhunderts war es von Chérie Maurice, dem Sohn eines französischen Schnaps- und Likörfabrikanten, der eigentlich Charles Schwartzenberger hieß, gegründet worden. Mit Komödien wurde es zum Lustspielhaus Hamburgs.
Thalia Theater auf Erfolgskurs
Das Etikett Unterhaltung hing dem Haus seit seiner Gründung an. Zur Freude der einen, zum Leidwesen der anderen. Nachdem die Aufbruchsstimmung der ersten Nachkriegsjahre verflogen war, sah sich auch Willy Maertens dem Vorwurf ausgesetzt, er fröne dem Leichten und Seichten und spiele vor allem Boulevard. Er selbst hat sich immer dagegen verwahrt. "Thalia ist die Göttin der leichten Muse, warum sollte man sie diskreditieren? Wir haben Tennessee Williams gespielt, Gerhard Hauptmann, Arthur Miller und dazwischen auch Lustspiele."
Er setzte auf die Mischung und auf den Kontrast zum benachbarten Deutschen Schauspielhaus, wo seit 1955 Gustaf Gründgens als Intendant die Strippen zog. Und der pflegte den hohen Ton und die hohe Klassik, umjubelt von den anspruchsvollen Feuilletons und den feinen Hanseatinnen und Hanseaten. Um moderne, zeitgenössische Stücke machte Gründgens einen Bogen, die kamen am Thalia Theater heraus.
Willy Maertens pflegte sein Stammpublikum und baute das Abonnement-System aus. 1957 zählte es 17.000 Mitglieder und musste eingefroren werden, weil die Kapazitäten erschöpft waren. Darauf konnte er zur Recht stolz sei. Er liebte es, wenn man ihn auf der Straße wie einen Bekannten ansprach. Wenn er mit seinem Chauffeur unterwegs war, soll er oft gesagt haben: "August, jetzt fahr bitte vorsichtig, jeder könnte ein Abonnent sein".
Ende der Intendanz von Willy Maertens
Von einer Übergangsphase war die Rede, als Willy Maertens 1946 seine Intendanz antrat. Dass der beliebte Schauspieler daran über viele Jahre festhalten würde, hätte niemand gedacht. Aber der Zuspruch des Publikums bestätigte ihn. Unter seiner Leitung konnte das Thalia Theater am 3. Dezember 1960 nach 14 Jahren des Provisoriums endlich die Fertigstellung des Wiederaufbaus und Umbaus feiern. Der Architekt Werner Kallmorgen gab dem Haus das Gesicht, das es bis heute prägt. Mit holzvertäfelten Wänden und geschwungenen Rängen, die dem Saal eine Leichtigkeit verleihen, die sich wohltuend von dem samtenen Plüsch anderer Theater unterscheiden. Zur Eröffnung wurde diesmal "Die heilige Johanna" von George Bernard Shaw.
1964 gab Maertens die Leitung des Theaters ab, nachdem der Druck von CDU und SPD in der Bürgerschaft zugenommen hatte. Auf ihn folgte eine glücklose Zeit, die erst durch die Intendanz von Boy Gobert 1969 ein Ende fand. Er holte Regisseure wie Peter Zadek, Hans Neuenfels, Luc Bondy, Andrea Breth und Jürgen Flimm ans Haus. Als Flimm 1985 die Leitung des Hauses übernahm, stieg das Thalia-Theater endgültig in die erste Liga der deutschsprachigen Bühnen auf, zu der es seither gehört.