Sparmaßnahmen am Theater Lüneburg: Intendant befürchtet "riesigen Einbruch"
Das Theater Lüneburg befindet sich in einer finanziellen Notlage. Externe Gutachter sind zu dem Schluss gekommen, dass Personal abgebaut werden muss. Dem Intendanten Hajo Fouquet schwebt eine weitere Möglichkeit vor. Ein Gespräch.
Herr Fouquet, gestern haben Sie die neue Spielzeit mit einem Theaterfest eröffnet. Gleichzeitig ist von Personalabbau die Rede. Ist Ihnen und Ihrem Team zurzeit überhaupt nach Feiern zumute?
Hajo Fouquet: Eigentlich kann einem nicht nach Feiern zumute sein. Wir haben gestern trotzdem ein tolles Fest gehabt, und wir werden und wollen diese Spielzeit und auch die Zeit danach mit Feiern, wichtigem, interessantem Theater bestücken. Trotzdem ist das natürlich ein Thema, was uns alle - nicht nur das Orchester, um das es im Augenblick speziell gehen soll -, extrem bewegt. Dieses Gutachten ist in Auftrag gegeben worden an die Firma actori unter der Vorgabe: Wenn die Gelder sich nicht verändern würden, wie könnte das Theater in Zukunft überhaupt noch existieren? Die Vorgabe ist: nicht Geld sparen, sondern nicht mehr Geld haben - was dem im Endeffekt gleichkommt, aber von der Formulierung etwas anderes ist.
Wie konnte es denn überhaupt zu dieser finanziellen Notlage am Theater Lüneburg kommen?
Fouquet: Ich bin seit 2010 Intendant an diesem Haus. Ich habe kein Jahr erlebt, in dem alle, die das Theater von außen aus der Politik wirtschaftlich unterstützen - Stadt, Landkreis und das Land Niedersachsen - die Tarifsteigerungen, die immer wieder aufgelaufen sind und sich wie Zins uns Zinseszins fortpflanzen, in der angemessenen, nämlich der tatsächlichen Höhe erstattet haben. Da sind immense Kosten für das Theater aufgelaufen, die das Theater aus eigener Kraft schultern musste. Das sind Beträge, die weit über einer Million Euro liegen.
In den ersten Jahren bis zur Pandemie habe ich es geschafft, mit der Leistung der Künstler*innen die Einnahmen des Hauses um ungefähr 70 Prozent zu erhöhen. Das ist in Richtung einer Million gewesen, die wir mehr erwirtschaftet haben als in der Zeit davor. Damit haben wir diese Probleme, verursacht durch die Politik, die die Tarifsteigerungen nicht im vollen Umfang oder gar nicht übernommen hat, ausgleichen können. Nach der Pandemie sind wir noch nicht wieder auf dem Stand, wo wir waren. Die Tarifsteigerungen sind extrem.
Das heißt, jetzt poltert alles zusammen, und aus diesem Kartenhaus ist jetzt Schutt geworden. Wir haben nicht mehr die Möglichkeit, aus eigener Kraft diesem Missstand nachzukommen. Das Verrückte ist: Es gibt andere Institutionen, wo es nicht die Frage gibt, ob eine Tarifsteigerung übernommen wird. Ein Beamter im öffentlichen Dienst? Natürlich bekommt er sie. Ein Mitarbeiter in einem Staatstheater? Natürlich bekommt er sie. Es ist immer nur die Frage bei den kommunalen Theatern, ob die Träger es tun und ob das Land Niedersachsen es tut.
Nun hat diese Beraterfirma drei Szenarien entwickelt, wie das Theater Lüneburg aus dieser schwierigen Situation herauskommen kann. Wie sehen diese Szenarien aus?
Fouquet: Ich kann die so beschreiben, wie sie im Augenblick der Presse zu entnehmen sind. Details dazu, die ich im Ansatz kenne, kann ich noch nicht sagen, weil die Beraterfirma diesen Entwurf noch mal konkretisieren wird, und der wird am 22. September nicht nur der Politik, dem Aufsichtsrat, der Öffentlichkeit und in erster Linie auch den Theatermitarbeitenden vorgestellt. Das heißt, ich kann nur das sagen, was bisher bekannt ist.
Das erste Modell heißt: Ein Drittel der Musiker nicht weiter beschäftigen, also ungefähr zehn Stellen sparen. Das zweite Szenario heißt: Das gesamte Orchester, knapp 30 Menschen, nach Hause schicken. Bei dem zweiten Szenario sagen sie: Natürlich könnte man Musical machen, indem man eine Band einkauft; man könnte Oper machen, indem man temporär ein Gastorchester einkauft, als Kompensation, wie man es nennt. Der dritte ultimative Vorschlag bedeutet, dass man auch die Solisten am Haus plus den Chor mit nach Hause schicken würde. Damit wäre die eigenständige Sparte Musiktheater komplett weg.
Was würde das heißen für Ihr Haus?
Fouquet: Das würde für unser Haus heißen, dass wir erstens deutlich weniger Umsatz machen. 40 Prozent der Umsätze sind mindestens die, die wir aus Musiktheater generieren - das ist auch nicht zu vernachlässigen. Es würde für das Renommee und für die Qualität des Hauses einen riesigen Einbruch bedeuten. Wir machen ganz viele Crossover-Projekte, das heißt die Sparten über die Grenzen hinweg arbeiten zusammen an gemeinsamen Projekten. Da haben wir irrsinnige Sachen gemacht, die wir uns in dieser Stadt leisten und die sogar von überall draußen tausende von Leuten ziehen. Das sind die Projekte, wo dieses Theater am allererfolgreichsten ist. Wir können hier nicht den "Ring" produzieren. Aber wir können eine tolle "Tosca" produzieren, weil wir das auch mit der Größe hinkriegen, als Oper zum Beispiel. Wir können ein Musical machen, da holen wir uns tolle Gäste - darin sind wir richtig gut. Aber an dieser Stelle wird es dann irgendwann eng, wenn wir ein eigenes Orchester nicht mehr hätten.
Der Lenkungsausschuss und die Beraterfirma haben in der Sitzung keine Empfehlung abgegeben. Wie geht es jetzt also weiter?
Fouquet: Die Aufgabe der Politik, das heißt der Gremien, die in Stadt und Landkreis sitzen, wird entscheiden müssen, ob sie einem dieser bisher drei genannten Vorschläge folgen will - mit den Konsequenzen, die erstmal offensichtlich sind, aber auch mit den finanziellen Auswirkungen, die es in alle Richtungen gibt. Natürlich spart man Geld, aber man kriegt das auch nicht für null Euro. Es gibt immer Abfindungen - in welcher Höhe die sich bewegen, erfahren wir, wenn dieses Papier in der zweiten Hälfte September herauskommt.
Dieses Haus ist ganz besonders erfolgreich, wenn alle drei Sparten - Schauspiel, Musiktheater und Ballett - gemeinsam auf der Bühne sind und gemeinsame Projekte machen. Das sind immer Dinge, die wir uns selber erfinden oder wo wir Stücke so deuten, dass wir da alle reingehören. Das sind die Momente, wo dieses Haus wirklich den Rahmen sprengt und wo wir nicht nur Besucher aus Stadt und Region finden, sondern weit darüber hinaus, bis Hannover und vor allen Dingen bis Hamburg. Die Hamburger Volksbühne besucht dieses Theater regelmäßig im Jahr - das ist echt ungewöhnlich, hat aber genau mit diesen Dingen zu tun. Da liegt unter anderem eine ganz große Qualität. Wenn man aus diesem Dreispartenhaus ein Zweispartenhaus machen würde, hätten Stadt, kulturelle Landschaft und natürlich das Theater ein Riesenproblem. Wir könnten dieses Haus mit den zwei Sparten auch nicht mehr adäquat bespielen. Das schaffen zehn Tänzer und zehn Schauspieler nicht.
Gibt es denn ein viertes Szenario, was Sie sich vorstellen können?
Fouquet: Ja, es gibt ein viertes Szenario, das sogar von Teilen der Politik heute schon benannt wird. Das vierte Szenario heißt: Es passiert gar nichts. Es gibt keine Kürzungen, es gibt das notwendige Geld für das Theater, und damit bleiben die Kunst und die Arbeitsplätze erhalten. All das, was in der Vergangenheit versäumt würde, wird endlich nachgeholt, und das Theater kann seinen Auftrag und seine Kunst auch in Zukunft so leisten wie bisher. Das wäre das Szenario, was angemessen, richtig und von uns gewünscht ist.
Das Interview führte Friederike Westerhaus.