Opernsängerin Waltraud Meier beendet Bühnenkarriere
Was hat ihre Karriere ausgemacht - die Stimme?
Hans-Jürgen Mende: Ohne Frage war es eine Stimme, die schlank und tragfähig gewesen ist. Eine sogenannte 'Lange Stimme' - das heißt ein Mezzo mit viel Höhe. Aber das haben andere auch. Was ihre Karriere so außergewöhnlich gemacht hat, war die Art, wie sie eine Opernperson zum Leben erwecken konnte. Interessanterweise hat sie neue Partien erstmal gar nicht vom Musikalischen her begonnen zu lernen, sondern wie ein guter Schauspieler. Sie hat versucht, den Menschen zu erfassen, der in der Rolle steckt: sein Handeln zu verstehen und zu begründen. Erst danach ist sie daran gegangen, mit welchen stimmlichen Mitteln sie an die Rolle geht. Das Singen kam bei der Erarbeitung einer Rolle erst ganz am Schluss. Dadurch wirkte ihre Verkörperung sehr glaubwürdig, nie aufgesetzt. Mit einer kleinen Geste konnte sie so viel ausdrücken. Ich erinnere mich als sie in Berlin die Ortrud im 'Lohengrin' sang. Da gibt es eine Szene vor dem Münster, in der Ortrud versucht bei Elsa Misstrauen gegenüber Lohengrin zu wecken. An der Stelle, an der alle ins Münster gehen, hat Waltraud Meier sich so leicht vorgebeugt und mit ausgestreckter Hand Elsa zum Münster gewiesen. Nach dem Motto: 'Na, dann gehe doch in Dein Unglück mit Deinem merkwürdigen Helden Lohengrin'. Diese kleine Geste war unglaublich beeindruckend. Ich habe sie dann oft auch als Klytämnestra erlebt - und es war erschütternd, weil man die innere Verwüstung dieser alten Frau so deutlich gespürt hat.
Warum hört sie denn auf?
Mende: Es ist früh. Ich finde auch zu früh. Aber es ist besser, wenn man sagt: 'Herrje, nun hört sie schon auf' - statt 'Hoffentlich hört sie bald auf'. Sie hat diesen Abschied genau geplant. Stück für Stück hat sie die Partien abgelegt. Nach 21 Jahren hat sie der Isolde Adé gesagt, nach 33 Jahren der Kundry, der Partie, mit der 1983 in Bayreuth unter James Levine ihre Weltkarriere begonnen hat und von der Waltraute in Wagners Ring hat sie sich nach 45 Jahre verabschiedet. Jetzt hat sie mit einer der wohl interessantesten Partien der Opernwelt, der Klytämnestra in Strauss 'Elektra' ihren Bühnenabschied genommen - wohl auch als Liedsängerin. Sie war auch eine großartige Liedsängerin. 2003 hat sie sich ein ganzes Jahr opernfrei gehalten und nur Lieder gesungen.
Sie hat nie eine wirkliche Krise gehabt?
Mende: Sie war und ist bis heute eine stabile, resiliente Persönlichkeit. Sie ist in Würzburg aufgewachsen, Musik war in der Familie zuhause. Sie hat in fünf Chören gesungen, wollte eigentlich Gymnasiallehrerin werden. Dann wurde in Würzburg eine Stelle für einen lyrischen Mezzo frei und sie hat ohne große Ambition vorgesungen und bekam die Stelle. Dann ist sie den sogenannten Ochsenweg gegangen. Sie war in Mannheim fest engagiert, in Dortmund, Hannover und zuletzt in Stuttgart. Erst dann hat sie den Sprung in die Existenz als freischaffende Sängerin gewagt - also schon mit viel Erfahrung.
Sie ist immer so 'normal' geblieben wie ihr Name Waldtraud Meier klingt. Die meisten Stars sind im Leben 'normal, nett und unkompliziert' und machen kein Gedöns. Vielleicht, weil sie auf der Bühne alles abladen können: Frust, Ärger, Ängste, Wut und so weiter. Diese Bodenhaftung hat ihr sehr geholfen. In der Süddeutschen Zeitung stand mal, sie sei die 'berühmteste lebende Wagner-Interpretin'. Dazu sagte sie mir: 'Andere Leute machen auch ihren Job und ich mache meinen. Ich singe gerne und ich versuche, das so ernsthaft wie möglich zu betreiben'.
Sie hat auch Sopranrollen gesungen, die Sieglinde, vor allem aber die Isolde.
Mende: Ja, das war nie ganz unumstritten. Natürlich hat sie 1993 mit Siegfried Jerusalem einen großen Erfolg gehabt und war dann für viele Jahre die Isolde weltweit. Aber wie meist, wenn sich eine Sängerin oder ein Sänger in einer neuen, so prominenten Partie, neu präsentiert, werden Vergleiche mit der Vergangenheit gezogen - mit Kirsten Flagstad, Birgit Nilsson und so weiter. Natürlich war sie eine Sängerin, die vom Mezzo kam und so hat sich die Höhe nicht so bombastisch entfaltet, ist nicht so expandiert wie bei manchen hochdramatischen Sopranen. Aber es war nun als künstlerische Gesamtleistung eben ihre Isolde. Heute wird jede neue Isolde an Waltraud Meier gemessen.
Wenn man so in die Zeitungen schaut, scheinen die Fans trauriger zu sein als Waltraud Meier selbst über diesen Abschied.
Mende: Sie hat sich nach ihrer Abschiedsvorstellung mit ein paar Worten ins Publikum verabschiedet, die einfach so viel aussagen über den Menschen Waltraud Meier: "Ich konnte mich hier ausdrücken, in allem, was ich zeigen wollte und gezeigt habe und ihr seid mitgegangen. Aber jetzt habe ich alles ausgedrückt, ich habe musikalisch nix mehr zu sagen. Und deswegen Tschüss."