Lars Eidinger singt, liest und spielt Brecht-Gedichte in Hannover
Lars Eidinger hat ein besonderes Verhältnis zu Bertolt Brecht. In Joachim Langs Spielfilm "Brechts Dreigroschenfilm" hat er ihn schon verkörpert. In Hannover hat er nun aus dessen Gedichtsammlung "Hauspostille" gelesen, gesungen und gespielt.
Lars Eidinger tritt vor eine knallgrüne Fläche. Etwas zu weiter schwarzer Anzug, Brille mit dezentem Goldrand, rote Fingernägel. Nachdenklich hält sich der 47-Jährige am Standmikro fest, nestelt scheinbar selbstvergessen an einer Schraube, hintergründig ist sein Vortrag: Gedichte von Bertolt Brecht aus den Jahren 1916 bis 1925. Hans-Jörn Brandenburg an Harmonium und Flügel versetzt das ausverkaufte Haus hundert Jahre zurück.
"Hauspostille": Brechts dunkle Poesie
Bertolt Brechts "Hauspostille" ist eine Anspielung auf fromme Predigtsammlungen: "Bittgänge", "Chroniken" und "kleine Tagzeiten der Abgestorbenen" - so einige Kapitelüberschriften. Gefallene werden in den Texten gefeiert, Abgründiges ans Licht gezerrt, es ist dunkle Poesie über rohe Gewalt.
14 der 50 Gedichte sind vertont. Hans-Jörn Brandenburg, der unter anderem bei Helmut Lachenmann in Hannover studierte und später für Frank Castorf, George Tabori und Robert Wilson Bühnenmusiken schrieb, begleitet stilsicher wie kreativ mit der ganzen Palette der Tonfarben "Orges Wunschliste".
Von den Freuden, die nicht abgewogenen.
Von den Häuten, die nicht abgezogenen.
Von den Geschichten, die unverständlichen.
Von den Ratschlägen, die unverwendlichen.
Von den Mädchen, die neuen.
Von den Weibern, die ungetreuen.
Von den Orgasmen, die ungleichzeitigen.
Von den Feindschaften, die beiderseitigen.
Auszug aus "Orges Wunschliste"
Natürlich geht es um Alkohol - Brechts Alabama-Song von 1925, später erfolgreich vertont von Kurt Weill für "Mahagonny", weist den Weg zum Whiskey.
Well show me the way
To the next whiskey bar
Auszug aus "Alabama Song"
Brechts Gedichte gepaart mit Eidingers intensiver Darbietung
Ein Gedicht nach dem anderen liest, singt und schauspielert Lars Eidinger in Hannover, ernsthaft, in sich gekehrt, mit eigener Intensität und Brecht-Aura. Erst als alle Texte durch sind, wendet er sich ans Publikum, das leicht Divenhafte eilt ihm voraus. "Man denkt immer wieder: 'was für ein Genie'. Also nicht bei mir, sondern bei Bertolt Brecht."
Bevor es hinübergeht in die Cumberlandsche Galerie, wo Eidinger noch als DJ auflegen wird, singt er nochmal das Stück, was er am liebsten mag - und auch besonders innig darbietet: "Der Choral vom großen Baal".