"La Horde": Schwache Eröffnung des Sommerfestivals Kampnagel
Das Internationale Sommerfestival in der Hamburg Kulturfabrik Kampnagel wurde am Mittwoch eröffnet. Eine Weltpremiere gab es gleich am Anfang: "Age of Content" vom Ballet National de Marseille und dem Regieteam "La Horde".
Wer erinnert sich noch an "Dirty Dancing"? Der legendäre Sprung, wenn Baby Anlauf nimmt und in den starken Armen von Johnny landet? Ihr Rock rutscht dabei lasziv hoch, er in züchtigem Schwarz? Hier, an diesem Abend, ist es vorbei mit der Romantik. "Dirty Dancing" landet im Schredder. Der Sprung? Eine fiese Nachahmung. Plötzlich landet der Griff des Mannes zwischen ihren Beinen. Es sieht brutal aus, fast wie eine Vergewaltigung, Kopulations-Bewegungen sind auf der Bühne zu sehen.
Romantik von vorgestern als übergriffig dargestellt
Da flimmern sie vor der Linse vorbei, die Filme "Flashdance", "A Chorus Line", "Footloose", die Gesichter des erstklassigen Ensembles aufgerissen, das Grinsen zur Maske verzerrt. Junge Tänzerinnen und Tänzer wie aus einer ultracoolen Werbung, Hiphop- und straßentauglich. Mit all ihrer Kraft zertrampeln sie die heterosexuelle Romantik der 80er- und 90er-Jahre wie alte Videokassetten. Jede Bewegung, jeder gereckte Arm, jedes gespreizte Bein bekommt hier etwas Pornographisches. Als wäre unser romantischer Blick von vorgestern ein einziger Übergriff. Diese Botschaft kommt rüber.
Gieriger Blick unserer Gesellschaft unter der Lupe
Das Publikum jubelt, als das Ballet National de Marseille schwer atmend am Bühnenrand steht, endlich mal mit natürlichem Lächeln. Denn die 75 Minuten davor waren sicher ein Kraftakt. Nur – es stellt sich die Frage, wofür? Okay, von der Zerstörung alter Männer- und Frauenbilder war schon die Rede. Gut. Es ging um unsere Projektionen auf schöne Körper. Und darum, wie wir alle virtuelle Welten konsumieren. Ungeduldig, Ballerspiele, Breaking News. Unser eigener gieriger Blick kommt hier unter die Lupe.
Nur - war es das dann? Wie sagte es eine Zuschauerin? "Wir fanden’s ein bisschen banal." Eine andere war richtig wütend: "Immer wieder das gleiche, dramaturgisch nicht durchgearbeitet, aber fantastische Tänzer, und das reicht nicht", findet die Zuschauerin.
Tänzer tippeln wie Videospielfiguren
Noch schlimmer ist der erste Teil des Abends: Die große Halle K6 von Kampnagel sieht aus wie ein halbleeres Warenlager eines weltweiten Online-Handels: Ein paar Kisten stehen links, dazu Metallwände. Als ob all die Computerspiele von früher, Atari zum Beispiel, wieder zum Leben erwachen würden, tippeln zwei Tänzer wie künstliche Videospielfiguren über die Bühne.
Ein ferngesteuertes Auto, das keine Blechhaut hat, sondern nur aus Gerüsten besteht, scheint sich mit einer einsamen Kämpferin im mintgrünen Trainingsanzug einen Kampf zu liefern. Das dauert gefühlt Stunden, könnte ein Zitat aus einem düsteren Kino-Blockbuster wie "Mad Max" sein. "Da dachte man auch an 'Game of Thrones' und Computerspiele, die Geschichte war banal", so eine Meinung aus dem Publikum.
Abend mit brillantem Ensemble hat keinen Kern
Das Problem des Abends in der Regie der Gruppe "La Horde": Er hat keinen Kern. Und er hat ein brillantes Ensemble, das leider nur zum Einsatz kommt, um eine Botschaft zu wiederholen, wieder und wieder: Unser Blick in die virtuelle Welt, ob Computerspiele, Social Media oder Filme, ist gierig. Wenn wir so weitermachen, landen wir alle im Schredder. Nur, das ist schnell erzählt. Bei aller tänzerischen Kraft und Brillanz: ein schwacher Auftakt des Festivals.
Drei Wochen lang wird Hamburg beim Internationalen Sommerfestival Kampnagel zur Bühne für Tanz, Theater, Performance, Konzerte - insgesamt mehr als 150 Veranstaltungen, darunter fünf Weltpremieren. Noch bis zum 27. August findet das größte Theater- und Kulturevent im Norden statt.