Intendant Nikolaus Besch: "Die Neugier der Hamburger stillen"
Das Hamburger Theater Festival feiert 15. Geburtstag. Die Bürger-Initiative ist nicht nur beim anspruchsvollem Hamburger Publikum beliebt.
Ein Gespräch mit dem Mitbegründer und Intendanten des Festivals Nikolaus Besch über seinen "Sondierungsprozess" und Highlights aus den vergangenen fünfzehn Jahren.
Herr Besch, fünfzehn Jahre Hamburger Theater Festival, was fühlen Sie dabei?
Nikolaus Besch: Ein unglaubliches Gefühl der Dankbarkeit und der großen Freude - auch mit Blick auf das, was noch kommt! Als wir das Festival im Jahr 2009 gegründet haben, konnten wir wirklich nicht davon ausgehen, dass wir so lange so viele Bürger hinter uns versammeln können. 2009 sind wir mit der Einstellung angetreten, das überhaupt erst einmal auf die Beine zu stellen. Wir sind davon ausgegangen, dass das Festival vielleicht ein paar Jahre läuft und wir dann mal weiter schauen. Aber dass es jetzt seit fünfzehn Jahren stattfindet, das beglückt alle, die daran beteiligt sind, zutiefst!
Was ist denn das Besondere bei dem Engagement beim Theater Festival in Hamburg?
Besch: Wir haben eine private gemeinnützige Stiftung gegründet, die von vornherein das Ziel hatte, NICHT auf die Stadt zuzugehen und zu sagen: "Wir haben eine gute Idee und wie wäre es, wenn ihr die mitfinanziert?" Ich habe in der Gründungsphase mit Menschen zu tun gehabt, die gesagt haben, es wäre eine charmante Hamburger Tradition, dieses Festival allein mit bürgerschaftlichem Engagement, also mit Spenden von Bürgerinnen und Bürgern, Stiftungen und Unternehmen auf die Beine zu stellen. Trotzdem arbeiten wir auch mit der Stadt. Die Schirmherrschaft hat immer der jeweilige Erste Bürgermeister. Das ist gelungen und sehr besonders. Das zweite ist, dass ich in meinem Sondierungsprozess immer darauf achte, besonders attraktive Produktionen aus anderen Städten des deutschsprachigen Raums zu holen, die die Neugier der Hamburger stillen können, die interessieren und elektrisieren. Hamburger sind ja schon sehr lange Theater-Fans, anders als in vielen anderen Städten.
Warum diese bewusste Entscheidung gegen staatliche Förderung?
Besch: Wir haben geschaut, mit welcher Idee wir viele Menschen dazu motivieren können, sich zu engagieren. Wenn wir in die Hamburger Historie gucken, wissen wir: Das Deutsche Schauspielhaus ist als Aktiengesellschaft von Bürgern gegründet worden, auch die Gründung der Staatsoper und der Kunsthalle gehen auf private Initiativen zurück. Wir wollten schauen, ob wir es schaffen, genügend Interessierte zu finden, die zu den Veranstaltungen des Festivals gehen. Diese Idee knüpft also an die Historie Hamburgs an.
Welche Herausforderungen hat das mit sich gebracht?
Besch: Jedes Jahr müssen wir aufs Neue die für das Programm benötigten Mittel zusammenbekommen. Leider lässt sich niemand darauf ein, sich über fünf Jahre an so eine Idee zu binden. Ich gehe also los, entwerfe die Idee für ein Programm. Das diskutieren wir dann erstmal intern in unserer Stiftung und dann gehen wir auf Hamburger Stiftungen zu und fragen, ob sie uns unterstützen wollen. Wir fangen also jedes Jahr bei null Euro an und haben es bisher immer geschafft, eine halbe Million Euro an Spenden einzusammeln.
Und dann bleibt trotzdem noch das wirtschaftliche Risiko...
Besch: Selbstverständlich. Nichts ist ein Selbstgänger. Natürlich versuchen wir, tolle Produktionen mit tollen Schauspielern einzuladen - aber Sicherheit hat man in dieser Zeit überhaupt nicht mehr, weil man die Reaktion der Menschen nur ahnen, aber nicht prognostizieren kann. Wir haben jedes Jahr Produktionen dabei, bei denen es durchaus passieren kann, dass sie floppen. Und wenn wir nur zwei Produktionen pro Festival hätten, die sich nicht gut verkaufen, dann hätten wir rote Zahlen. Dann müssten wir Förderer finden, die uns wiederum bezuschussen - das ist zum Glück noch nie vorgekommen und der Ehrgeiz ist auch, jedes Jahr hinzukommen.
Wie dürfen wir uns Ihren Sondierungsprozess vorstellen? Sie reisen durchs Land und gehen ins Theater?
Besch: Ja, das ist richtig. Ich schaue mir im Jahr zwischen fünfzig und sechzig Produktionen im deutschsprachigen Raum an. Das ist schon eine Auslese aus etwa hundertfünfzig Produktionen, die eventuell für das Festival relevant sein könnten. Das breche ich dann durch Recherchen und Sichtungen runter. Aus den fünfzig bis sechzig Produktionen, die ich mir anschaue, werden je nach Überzeugungskraft und Finanzlage zwischen sieben und zehn nach Hamburg zum Festival eingeladen.
Was hat Sie dieses Jahr überzeugt?
Besch: Für mich kommt es nicht so sehr auf Aktualität an, das sehe ich auch als Aufgabe der Staatstheater, aktuelle Themen aufzugreifen. Für mich ist ein Kanon, ein bestimmter Reigen entscheidend. Es müssen Stücke aus verschiedenen Epochen vertreten sein. Es wäre schön, wenn bestimmte herausragende Schauspielerinnen und Schauspieler das erste Mal oder mal wieder in Hamburg zu sehen sind. Ganz oben steht immer die absolute Qualität der schauspielerischen Leistung. Als Zuschauer kann man immer mal sagen: "Das hat mich jetzt nicht gepackt", oder: "Die Regiehandschrift hat mir nicht so gut gefallen". Aber das Publikum darf nicht rausgehen und denken, dass schlecht gespielt wurde. Für die Theaterstadt Hamburg zählt natürlich, dass wir nicht unter das Niveau kommen, das wir an unseren tollen Häusern hier gewohnt sind. Eine kluge und starke Regiehandschrift darf nicht fehlen. Und natürlich wäre es schön, wenn ein paar Stoffe dabei sind, für die sich die Menschen wirklich interessieren. Die sie vielleicht so noch nicht auf der Bühne gesehen haben oder mal ganz anders sehen, als sie es gewohnt sind.
Können Sie sagen, welches Standing das Hamburger Theater Festival in anderen Städten hat?
Besch: Das ist natürlich immer schwierig, die eigene Initiative einzuordnen. Aber ich kann sagen, dass es schon ein hohes Standing hat. Allein schon, weil die Bürger es geschafft haben, diese Initiative am Leben zu halten. Unter Schauspielern ist das Festival insofern legendär, weil sie wissen, dass sich hier die besten Schauspielerinnen und Schauspieler tummeln. Sie stellen sich dem hohen Anspruch des Hamburger Publikums - denn der ist höher als in fast allen anderen Städten. Das reizt sie - die Schauspieler kennen sich alle untereinander und sprechen darüber. Und sie gucken auch ins Programm, wer dabei ist. Auch bei den Intendanten-Kollegen ist es so, dass sie schon alle sehr gerne dabei sein wollen.
Wenn Sie so oft im Theater sind und auch immer mit einem Auftrag - ist das eher Genuss oder Arbeit?
Besch: Wenn ich auf der Sondierungsreise in irgendeinem anderen Theater bin, spüre ich eigentlich schon nach ein paar Minuten, ob sich das gelohnt hat oder nicht. Ich schaue natürlich hochkonzentriert. Wenn ich merke, dass mir eine Inszenierung gefällt, denke ich währenddessen schon darüber nach, für welche Spielstätte sie in Hamburg in Frage kommen würde, zum Beispiel unter technischen Gesichtspunkten. Außerdem überlege ich mir, ob ein Stück in Hamburg funktionieren würde, denn jede Stadt und jedes Publikum reagiert völlig anders. Wir haben schon Produktionen eingeladen, die wurden in anderen Städten von der Presse zerrissen und hier bejubelt. Insofern geht mir da schon viel durch den Kopf. Aber bei herausragenden Produktionen werde ich manchmal völlig mitgerissen. Einmal habe ich eine Inszenierung von "Medea" am Burgtheater Wien gesehen und saß zu Beginn des Stücks auf der Vorderkante meines Stuhls - und dort saß ich am Ende der Inszenierung immer noch.
Reisen Sie denn dann inkognito oder sind Sie eher wie so ein Talentscout im Fußball unterwegs, der dann mit großen "Tamtam" empfangen wird?
Besch: Mal so, mal so. Manchmal kaufe ich mir einfach eine Karte und setze mich heimlich ins Publikum. Ich gehe aber auch gerne auf Premieren, um mir die Stücke völlig frei von Medienmeinungen anzusehen - sonst luschert man ja doch, wer was geschrieben hat. Dafür muss ich mich anmelden, dann bekomme ich natürlich ein Programm in die Hand - und es wird sich gekümmert. Aber: Alle wissen mittlerweile, dass ich direkt danach nichts sage, weil dieser Sondierungsprozess eben über ein Dreivierteljahr läuft. Wir entscheiden uns immer Ende Dezember stiftungsintern und dann gibt es die Benachrichtigungen.
Können Sie uns Ihr Highlight aus den letzten fünfzehn Jahren verraten?
Besch: Mein Highlight ist eigentlich immer, diese ganz besondere Festival-Stimmung und die Begeisterung des Publikums zu sehen und zu spüren! Ein besonderes Highlight war, als wir auf der Baustelle der Elbphilharmonie - auf der Plaza - das Haus sozusagen künstlerisch eröffnet haben. Damals gab es eine Inszenierung des Brahms-Requiems. Das war zu der Zeit etwas Besonderes, dass die Elbphilharmonie auch mal positiv im Gespräch war. Und sehr besonders war auch, dass wir zu Lebzeiten von Christoph Schlingensief sein großes Projekt "Mea culpa" im Schauspielhaus mit hunderten Technikern und Schauspielern umgesetzt haben. Das sprengte eigentlich jedes finanzielle Maß, aber wir haben es gewuppt, gemeinsam, alle zusammen. Das macht mich wirklich immer wieder glücklich, wenn ich daran denke.
Das Interview führte Anina Pommerenke.