"Angabe der Person" am Thalia Theater: ein bitterbös-spröder Genuss
Am Freitag, 2. Juni 2023, wurde das neueste Stück der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek im Hamburger Thalia Theater gezeigt. "Angabe der Person", eine Produktion vom Deutschen Theater Berlin, ist eine Anklage gegen die deutsche Selbstgefälligkeit.
Das Stück ist ein hartes Brett, immer am Schmerzpunkt. Wer einen konventionellen Theaterabend erwartet, wird enttäuscht. Jelinek, das heißt kein klassisches Stück, sondern schier unendliche Wortkaskaden, Argumente, Fachbegriffe, Ulk: ein unaufhörlicher Fluss der schrägen, komplexen und erhellenden Gedanken ohne Auflösung. Und mit viel Wut.
Elfriede Jelinek ist stinksauer
Denn die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ist wütend, stinksauer sogar: Die bayerische Steuerfahndung hatte es auf sie abgesehen, weil sie neben Österreich auch einen Wohnsitz in München hatte. Doppelbesteuerungsabkommen heißt das Wortungetüm, eine Steilvorlage für die Wortkünstlerin. Inklusive Beschlagnahme ihrer Schriften auf der Festplatte. Bei Jelinek heißen sie "Schrifterln".
Jelinek schäumt wortreich: "Ich lasse nichts aus. / Was ich hier mache, ist unzulässig und undurchlässig. / Ich bin eine Art Windel für die Welt. / Ich lasse nichts durch." Natürlich steht sie nicht auf der Bühne, sondern es sind drei Frauen, die den "Schrifterln" ihre Körper und Stimmen leihen. Und was für welche: Fritzi Haberlandt, Linn Reusse und Susanne Wolff, absolut großartig-lässige Spielerinnen.
"Angabe der Person": Zornige Mammut-Monologe
In ihrer Verschiedenheit sorgen die drei für einen bitterbös-spröden Genuss. Sie knallen nacheinander schwere Steuer-Aktenordner auf den Bühnenboden und starten jeweils einen eigenen Mammut-Monolog. Alle drei sind im ähnlichen Look: längere rotblonde Haare, tiefblauer Pullunder über weißer Bluse, schwarze Hose. Wie zornige Anwältinnen: Wir, das Publikum, werden wie Zeugen angesprochen oder wie Richter und Richterinnen. Wir sind Teil eines Gerichtsprozesses. Aber es geht um mehr als um eine Finanzprüfung. Es geht um deutsche Geschichte.
Regisseur Jossi Wieler verwandelt die Wort-Lawinen in einen vielstimmigen Chor. Als Kulisse dient eine halbe Wand, die auf der Drehbühne kreist, mit einer antiken Klomuschel. Eine digitale Uhr zählt bedrohlich rot nach oben. Ist es eine Schuldenuhr, oder werden hier die Toten der Weltkriege gezählt?
Vernichtet mit deutscher Gründlichkeit
Der einzige Mann auf der Bühne wird von Schauspieler Bernd Moss verkörpert. Er spielt eine grantige Vaterfigur im Wollpulli, die wortarm und in sich versunken an einem Tonpult sitzt. An einer Stelle sagt der Mann: "Aber Sie dürfen nie unter die Augen der Mächtigen kommen. Nie. Von denen bemerkt zu werden, das ist der absolute Schrecken."
Jelineks jüdischer Vater, die katholische Mutter, die sich von ihrem Mann nicht scheiden ließ während der Nazizeit, der Opa, ein Cousin: ein Familienbild, vernichtet mit deutscher Gründlichkeit. Selten war die Literaturnobelpreisträgerin so persönlich.
"Glauben wohl, wir hätten unsere Geschichte sehr gut aufgearbeitet"
Zum Schluss gibt es viel Applaus für den Abend. "Es war intensiv - und herausfordernd, von der Thematik her", erzählt eine Zuschauerin beim Rausgehen. Eine andere: "Wir als Deutsche glauben wohl, dass wir unsere Geschichte sehr gut aufgearbeitet hätten. Ich lebe in England und ich finde, wir haben es in vielen Sachen auch sehr gut gemacht. Das Stück gibt einfach noch einmal einen anderen Blickwinkel, der uns herausfordert."
Elfriede Jelinek dreht den Spieß einfach um: Ihr Wutschwall wird zur Anklageschrift gegen deutsche Selbstgefälligkeit. Großartig.
Die 15. Ausgabe des Hamburger Theater Festivals geht weiter: Am Montagabend war Charly Hübner im Gespräch mit Kester Schlenz im St. Pauli Theater. Am Freitag und Sonnabend sind Joachim Meyerhoff und Angela Winkler in "Eurotrash", einer Arbeit von der Berliner Schaubühne, auf Kampnagel zu sehen.