Viele Ballettänzer liegen in einem Knäuel auf der Bühne. © Bettina Stöß
Viele Ballettänzer liegen in einem Knäuel auf der Bühne. © Bettina Stöß
Viele Ballettänzer liegen in einem Knäuel auf der Bühne. © Bettina Stöß
AUDIO: Hamburgs zukünftiger Ballettchef: So ist sein Abschiedsstück in Düsseldorf (5 Min)

Hamburgs zukünftiger Ballettchef: So ist sein Abschiedsstück in Düsseldorf

Stand: 29.04.2024 13:57 Uhr

In wenigen Monaten kommt der neue Ballettintendant Demis Volpi vom Rhein an die Elbe. Jetzt ist ihm mit "Surrogate Cities" ein berauschendes Finale in Düsseldorf gelungen. Die Uraufführung war auch ein Blick in die Hamburger Ballett-Zukunft.

von Annette Matz

Zum Abschied hat Demis Volpi noch einmal das große Besteck ausgepackt: Düsseldorfer Symphoniker plus Sopranistin, Soloposaunist und Sampler-Spieler, der Alltagsklänge erzeugt. Außerdem sind alle 45 Tänzer und Tänzerinnen seiner Compagnie auf der Bühne. Es ist eine fast zwei Stunden lange, abendfüllende Choreografie. Davon hat der 38-jährige Choreograf noch nicht so viele in seiner Schublade. Entschieden hat er sich für "Surrogate Cities". 1994 hat Heiner Goebbels dieses atemberaubend komplexe Stück Musik komponiert.

"Surrogate Cities": Auseinandersetzung mit der Macht der Großstadt

Ein Tänzer und eine Tänzerin stehen auf einer Bühne - sie lehnt sich zurück und er hält sie in Höhe ihrer Taille fest. © Bettina Stöß
Norma Magalhães und Damián Torío tanzen in Demis Volpis "Surrogate Cities" im Opernhaus Düsseldorf. Ebenfalls auf der Bühne: Die Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung von Vitali Alekseenok.

"Surrogate Cities" beschäftigt sich mit dem Leben in der Großstadt. Mit ihrer Macht als Heimat und Hektik-Hölle, Sehnsuchtsort und Ruhepol. Es wird gerangelt, gerannt, geliebt und verzweifelt. Es rasselt und heult, dröhnt und kracht. Aber auch fast sanfte, melodiöse Klänge gibt es. Das Stück beginnt mit einer Art Großstadt-Gewimmel und Geraune: Orchester und Compagnie schlendern gemeinsam herein und finden erst nach einer Weile ihre Plätze. Die Musiker sitzen nicht im Orchestergraben, sondern auf der hinteren Bühne. Rechts und links vorne sind große Stahlgerüste aufgebaut, so dass eine Art Industriekulisse mit gefühlter Straßenkreuzung entsteht. Weil der Orchestergraben fehlt, sind die Tanzenden der ersten Reihe sehr nah.

Musik und Tanz sind durchlässig und voller Spannung

Die Musik des Abends ist nicht gerade gefällig. Manchmal kreischen und Kratzen die Töne. Aber Tanz und Klänge sind immer voller Spannung. Die Choreografie trägt die Szenen, Tableaus und eindrucksvollen Gruppierungen. Eine Handlung gibt es nicht. Dafür einen Dialog zwischen Musik und Tanz. Manchmal nimmt das Ensemble die Klänge ganz exakt rhythmisch ab. Gefühlt ist es dann eins mit der Stadt. Oder eine Gruppe von Tänzern kommt in Richtung Zuschauerraum und man fantasiert sich in die "Westside Story", in der gleich die andere Gang auftaucht. Oder mehrere Tanzende verschlingen sich malerisch-erotisch ineinander. Kleine zitternde Bewegungen gibt es genauso wie eilig ausladendes Gehen. Tanztechnisch besonders beeindruckend sind die Pas de deux, mit großer Innigkeit und schwierigen Hebefiguren.

Weitere Informationen
Demis Volpi, neuer Intendant des Hamburg Balletts, sitzt nach einer Pressekonferenz im Zuschauersaal der Staatsoper. © dpa Foto: Marcus Brandt

Demis Volpi übernimmt: Vieles neu beim Hamburg Ballett

Der Nachfolger von Ballettchef John Neumeier gestaltet das neue Programm umsichtig. Vieles ist neu, einiges bleibt aber auch. mehr

Demis Volpi und seine Kompagnie werden mit "Bravos" gefeiert

Das Publikum ist begeistert. Fast alle stehen auf, als Demis Volpi bei dieser ersten Vorstellung nach der Premiere zum Schlussapplaus auf die Bühne kommt. Zu Recht. Ihm ist ein mutiger Abend gelungen. Mit weitem Tanzblick und großer Durchlässigkeit. Volpi weicht in vieler Hinsicht Grenzen auf. Nicht nur die zwischen Musik, Gesang und Tanz. Auch die Geschlechterrollen sind einmal mehr nahezu aufgehoben. Oft tragen alle Personen schwarze Hosen oder Anzüge. Männer und Männer tanzen selbstverständlich wunderschöne Pas de deux. Respekt vor der Individualität ist ein großes Thema für Volpi. Außerdem ist seine neue Kreation einmal mehr nicht nur Ballett, sondern streift auch das Theater. Es sind eindrucksvolle Bilder, wenn plötzlich zahllose Papierflieger die Großstadtordnung irritieren. Oder ein Riese auf der Bühne erscheint und daneben jemand verzweifelt.

Abschiedsschmerz und gespannter Blick nach vorn in Düsseldorf

Für seine neue Aufgabe wünscht das Düsseldorfer Publikum Volpi natürlich Glück. Aber auch Abschiedsschmerz gibt es. "Er hat es am Anfang nicht leicht gehabt und hat es gut gemacht", sagt eine Zuschauerin. "Wir sind auch auf das Programm der Neuen gespannt" eine andere. Zum neuen Düsseldorfer Führungsduo gehört Bridget Breiner. Sie ist noch Ballettchefin am Badischen Staatstheater in Karlsruhe und zeigt aktuell mit ihrer umjubelten Premiere einen dreiteiligen Abend, der auf gewisse Weise auch mit Hamburg zu tun hat. Zu sehen waren Stücke von zwei Choreografen und einer Choreografin unterschiedlicher Generationen. Darunter der 91-jährige, sehr elegante Choreograf Hans von Manen. Der wird auch bei Volpis Eröffnungspremiere in Hamburg im September dabei sein, zusammen mit anderen. Geteilte Abende werden eine größere Rolle spielen. Sie gehören auch zu modernen Programmen. Demis Volpi möchte viele Tanzsprachen zeigen. Hamburg ist das so nicht gewöhnt. Auch das wird mit Volpi anders.

Weitere Informationen
Demis Volpi vor Mikrofonen. © Screenshot
3 Min

Neumeier-Nachfolger Demis Volpi stellt Ballett-Spielplan vor

Der Deutsch-Argentinier wird im Sommer neuer Intendant des Hamburg Ballett und tritt ein großes Erbe an. 3 Min

Demis Volpi © Screenshot
2 Min

Demis Volpi - Hamburgs neuer Ballett-Intendant

Mehr als ein halbes Jahrhundert war John Neumeier Direktor und Chef-Choreograf des Hamburg Balletts. Was plant sein Nachfolger? 2 Min

Demis Volpi © picture alliance/dpa | David Young

Wie inszeniert Hamburgs baldiger Ballettchef Demis Volpi?

Ab Sommer 2024 wird Demis Volpi die Nachfolge von John Neumeier antreten. In Düsseldorf hat seine moderne Version von "Giselle" gerade Premiere gefeiert. mehr

Hamburgs zukünftiger Ballettchef: So ist sein Abschiedsstück in Düsseldorf

Mit "Surrogate Cities" ist Demis Volpi ein berauschendes Finale an der Oper am Rhein gelungen. Die Uraufführung war auch ein Blick in die Hamburger Ballett-Zukunft.

Art:
Bühne
Datum:
Ort:
Opernhaus Düsseldorf
Heinrich-Heine-Allee 16a
40213 Düsseldorf
E-Mail:
0211 89 25 211
In meinen Kalender eintragen

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Kulturjournal | 29.04.2024 | 19:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Tanz

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Charlie Hübner sitzt an einem Tisch. © Thomas Aurin

Charly Hübner als wandelbarer Antiheld in "Late Night Hamlet"

Munteres Late Night Geplauder trifft auf Shakespeare-Drama - so das Setting für den Solo-Abend im Schauspielhaus Hamburg. mehr