Demis Volpi © picture alliance/dpa | David Young

Wie inszeniert Hamburgs baldiger Ballettchef Demis Volpi?

Stand: 13.06.2023 16:25 Uhr

Ab Sommer 2024 wird Demis Volpi die Nachfolge von John Neumeier beim Hamburg Ballett antreten. Noch ist er jedoch an der Oper am Rhein in Düsseldorf. NDR Ballettexpertin Annette Matz hat sich dort die Premiere von "Giselle" angeschaut.

Wie war die Premiere von "Giselle"?

Annette Matz: Anders - in fast jeder Beziehung. "Giselle" gehört bis heute zu den erfolgreichsten Balletten überhaupt. 1841 wurde es uraufgeführt. Ballettkomponist Adolphe Adam hat damals sowas wie ein One Hit Wonder komponiert  - wunderschöne Musik, toll umgesetzt auch an diesem Abend von den Düsseldorfer Symphonikern. Aber Demis Volpi hat die eigentliche Geschichte um das Bauernmädchen Giselle, das sich in einen Adligen verliebt, der aber schon vergeben ist und die dann an gebrochenem Herzen stirbt, umgedeutet. Bei ihm verliebt sich Giselle in Bathilde. Die schaut sich mit ihrem Mann eine Ballettaufführung an. Wir sehen auf der Bühne die Kulissen und die Kulissenschieber - und dann kommt Bathilde ganz real aus dem Zuschauerraum auf die Bühne. Sie lernt Giselle kennen, küssen und eine queere Party feiern. Ein berührend-intensives Erlebnis, was Bathilde nicht vergessen, aber auch nicht leben kann.

Eine andere Geschichte - und es ist trotzdem "Giselle". Was hat das noch zu tun mit diesem Ballett?

Matz: Das Tolle an dieser neuen Draufsicht auf dieses Stück: Demis Volpi hat die Geschlechterrollen neu gedacht und sich trotzdem vor dem klassischen Ballett verneigt. Es bleiben alle Rollen, es verändert sich einfach das Miteinander. Es gibt den berühmten weißen Akt. Im Original ist das der weiße Akt der Willis, also der verschmähten toten Frauen, die sich an den Männern rächen, in dem sie diese bis zur Erschöpfung tanzen lassen. Bei Volpi ist das der phantastische, feenhafte Erinnerungsort an die Begegnung der beiden Frauen. Und die Willis sind Tänzerinnen und Tänzer  - alle gleich in langen weißen Tüllröcken. Es ist einfach so, dass die Geschlechter irgendwann keine Rolle mehr spielen beim Zuschauen. Das muss man erstmal schaffen.

Wie hat das Publikum auf diese queere Inszenierung reagiert?

Matz: Viele Buhs gemischt mit Bravos. Am Schluss waren die Buhs dann verstummt und alle Leute standen. Ich habe ja sozusagen in fremden Gewässern gefischt und habe natürlich auch andere Leute getroffen als hier in Hamburg. Ich bin aus dem Zuschauerraum neben Bettina Böttinger rausgegangen - aus der Talkrunde  "Kölner Treff". Sie ist ein totaler Volpi-Fan. Sie gönnt es Hamburg, aber sie ist sehr traurig, dass er geht.

Was sagst du denn? Wie hat es dir gefallen, was erwartet Hamburg?

Matz: Ich fand es überraschend, ich fand es mutig. Ich habe mich in keine Sekunde gelangweilt. Demis Volpi hat Respekt vor dem klassischen Stoff. Auch wenn es sich so banal anhört. Männer in Röcken, das kennen wir schon. Frauen, die sich verlieben, das ist auch nichts Neues. Aber diesen klassischen Stoff, der fast was Unantastbares hat, so mitzunehmen in unsere moderne Welt und so behutsam und elegant umzudeuten, das hat mir gut gefallen. Der Choreograf Demis Volpi gilt als Geschichtenerzähler, das ist seine Stärke, die auch rüberkommt. Der Fokus liegt nicht auf spektakulären, technisch unglaublich perfekt choreografierten, filigranen Tanzsequenzen. Ich hab das gar nicht so vermisst, aber im Publikum hab ich das öfter gehört - da wurde mehr Ballett-Choreografie gewünscht. Also: Hamburg muss sich bestimmt umgewöhnen, aber ich freue mich drauf.

Weitere Informationen
Die Tänzer Louis Musin als Romeo und Azul Ardizzone als Julia tanzen "Romeo und Julia" auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper. © dpa Foto: Markus Scholz

Mit 15 bei Neumeiers "Romeo und Julia": "Ein magisches Erlebnis"

Bei der Eröffnung der Hamburger Ballett-Tage hat Azul Ardizzone in der Rolle der Julia für Aufsehen gesorgt. Ein Interview. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Kulturjournal | 13.06.2023 | 19:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Tanz

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Janine Jansen mit Violine vor dem Körper © Decca Marco Borggreve Foto: Decca Marco Borggreve

Jetzt im Livestream: Sakari Oramo & Janine Jansen

Janine Jansen spielt eine Deutsche Erstaufführung von Britta Byström. Sakari Oramo bringt Elgars Zweite Sinfonie zum NDR EO. Video-Livestream

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?