"Der Prozess" am Thalia Theater: Albtraum oder Drogentrip?
Es gibt nur ein Drama von Franz Kafka - trotzdem ist sein Werk auf den Bühnen sehr präsent. Am Hamburger Thalia Theater hat der Regisseur Michael Thalheimer jetzt einmal mehr den "Prozess" inszeniert.
Die Bühnenwelt dreht sich, begleitet von fast rauschhaften Klängen. Minutenlang zieht eine leere Kammer nach der anderen an den Augen des Publikums vorbei. Über die schwarzen Wände wogen Farbwellen, bunte Muster. Eine Einladung zum Träumen? Nein, denn ein Unbehagen stellt sich schon hier ein, bevor der nackte Mann auftaucht, Josef K., und schließlich aus dem dunklen Nirgendwo daneben zwei weitere Männer - angezogen.
"Sie dürfen nicht weggehen, Sie sind ja verhaftet."
"Und warum?"
"Wir sind nicht bestellt, Ihnen das zu sagen."
Bühnenzitat
Kafkas "Der Prozess" in Hamburg: Groteske, überzeichnete Figuren
(Alb)Traum oder Wirklichkeit? Das wird nicht klar in Kafkas Romanfragment - und bei Michael Thalheimer ebenso wenig. Vielleicht auch ein Drogentrip? Denn die Farbwellen und -muster bleiben. Die Figuren sind grotesk überzeichnet, kleben teilweise regelrecht an den Wänden. Immer wieder beenden die beiden Wächter ihre Sätze mit einem schrillen, hämischen Lachen - und das ist erst der Anfang.
Doch auch der Aufseher bringt nicht die ersehnte Aufklärung. Es gibt keinerlei Hinweise auf mögliche Gründe für die Verhaftung. Josef K. versteht die Welt nicht mehr, die sich unerbittlich weiter dreht.
Kein Ausweg für Josef K.
Michael Thalheimer macht von Anfang an klar, dass es keinen Ausweg geben wird für Josef K.. Ob die Zimmerwirtin oder das von diesem verehrte Fräulein Bürstner, der Maler Titorelli oder der Anwalt - niemand kann wirklich etwas für K. tun. Sind sie doch alle irgendwie Marionetten in einem vollkommen undurchsichtigen System:
"Und der Sinn, meine Damen und Herren, er besteht darin, dass unschuldige Personen verhaftet werden und gegen sie ein sinnloses und meistens, wie in meinem Falle, ergebnisloses Verfahren eingeleitet wird. Wie ließe sich bei der Sinnlosigkeit des Verfahrens die schlimmste Korruption der Beamtenschaft vermeiden? Das ist unmöglich!" Bühnenzitat
Aktuelle Bezüge kann herstellen, wer mag. Thalheimer inszeniert den "Prozess" als düstere, zeitlose Groteske ohne Überraschungen.
Großartiges Ensemble um Merlin Sandmeyer
Großartig ist, was das Ensemble leistet - allen voran Merlin Sandmeyer als Josef K.. Er verkörpert die nackte Unschuld, den zunehmend an sich zweifelnden, bisher beruflich erfolgreichen jungen Mann, im wahrsten Sinne des Wortes biegsam und mit feinem Gespür für die Ernsthaftigkeit und die Verlorenheit der Figur.
Schon ganz am Anfang der Inszenierung zitiert Michael Thalheimer Edvard Munchs berühmtes Gemälde "Der Schrei": Merlin Sandmeyer schützt die Ohren mit den Händen, den Mund aufgerissen zum stummen Schrei. Am Ende fühlt es sich dann an, als sei der (Alb)Traum Wirklichkeit geworden - und die Welt hört auf, sich zu drehen.
"Der Prozess" am Thalia Theater: Albtraum oder Drogentrip?
Franz Kafkas Werk ist auf den Bühnen sehr präsent. In Hamburg hat der Regisseur Michael Thalheimer jetzt einmal mehr den "Prozess" inszeniert.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ende:
- Ort:
-
Thalia Theater
Alstertor
20095 Hamburg - Preis:
- ab 9 Euro