Daniel Karasek und Anina Pommerenke sitzen auf einem Sofa und halten beiden ein Fischbrötschen in der Hand. © NDR Foto: Marie Backhaus

Daniel Karasek: "Theater war erst mal eine Hassliebe"

Stand: 17.12.2022 11:49 Uhr

Daniel Karasek feiert bald 20-jähriges Dienstjubiläum am Theater Kiel. Über einem Fischbrötchen zeigt sich der Generalintendant von seiner privaten Seite - spricht über Anekdoten aus seiner Kindheit und die ambivalente Beziehung zu seinem berühmten Vater.

Daniel Karasek ist der älteste Sohn von Hellmuth Karasek und der Venezolanerin Marvela Ines Mejia-Perez. Er ist 1959 in München geboren, hat drei jüngere Geschwister und wuchs unter anderem in Stuttgart, Caracas und Hamburg auf.

Herr Karasek, was heißt Fischbrötchen denn eigentlich auf Spanisch? 

Daniel Karasek: Das ist eine gute Frage, meine Gehirnzellen rattern schon. "Brötchen" fällt mir nicht ein: pancito, pan ist das Brot. In Venezuela gibt es keine Fischbrötchen, das ist in einem tropischen Land nicht so richtig vorstellbar. Außerdem gibt es da immer Maisbrötchen: eine arepa, wie sie in Venezuela heißt. Die werden heiß serviert, aufgeschnitten und dann dampfen die kräftig. Also ich würde sagen: Empanada del pescao. Oder el pan de pescao. Algo así.  

Wie kommt es überhaupt, dass Sie Spanisch sprechen?

Karasek: Ich habe es leider über Jahre gar nicht praktiziert. Ich habe eigentlich noch Glück, dass ich eine Oper leite und viele Sänger Italienisch und Spanisch als Rüstzeug mitbringen und ich so wieder damit in Kontakt komme. Es ist meine Muttersprache - also im wahrsten Sinne des Wortes. Meine Mama ist Venezolanerin. Eine richtige Venezolanerin, also auch richtig dunkelhäutig. Das bin ich nicht. Ich bin – besonders vom Gesicht her - wie mein Vater geworden. Mein leiblicher Bruder, der acht Jahre jünger ist, ist mehr so wie sie geworden. Großgeworden bin ich mit so einem Sprachmischmasch. Meine Mutter hat immer, wenn sie beispielsweise schimpfte, ihre Muttersprache benutzt. Deutsch war das Gängige, weil man das halt in Deutschland sprach. Letztendlich hatten wir ein Deutsch-Spanisch, so ein Gemisch: Zu der Gurke sagte man dann eben Gurke und als nächstes sagte man "ensalada". Und wenn man schimpfte mit schrecklichen Schimpfworten, dann auf Deutsch und auf Spanisch. 

Gurkicito wäre doch auch ein netter Kompromiss gewesen...

Karasek: Ja, das Diminutiv ist sowieso etwas sehr Spanisches, also die Verkleinerung. Genauso wie die Vergrößerung. 

Haben Sie auch mal in Venezuela gelebt?

Karasek: Ja. Ich habe als Kind drei Jahre dort gelebt, von vierten bis zum siebten Lebensjahr. Danach bin ich regelmäßig jedes Jahr dort gewesen - aber die letzten zehn Jahre nicht mehr. Ich habe dort den "Zerbrochenen Krug" inszeniert, in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und dem ITI - also dem internationalen Pendant zum Goethe-Institut. Jetzt bin ich nicht mehr so gerne da, weil das Land so rasend kaputt ist. Es macht mir Angst. Caracas, wo meine Mutter lebt, ist die zweitgefährlichste Stadt der Welt. Wirklich! Das ist kein Witz und kein Spaß. Ständig ist man da wie in einem Kriegszustand. Man passt ständig übermäßig auf und nach sieben Uhr abends bewegt man sich so und so nicht mehr auf der Straße. Oder wenn nur in Gruppen und mit bestimmten Taxi-Formen. Es ist sehr, sehr anstrengend. Das Land selbst besteht aus den schönsten Menschen, die ich kenne! Es sind eigentlich sehr friedliche Menschen, sehr humorvoll, wahnsinnig schöne Menschen, weil es so unglaubliche Mischungen gibt und so viele Einflüsse, auch durch die Auswanderung: jüdisch, schwarz, indigen. Meine Mutter ist halb indigen und halb spanisch. Von daher habe ich tatsächlich auch das indigene Blut abbekommen.

Wann haben Sie sich denn eigentlich in das Theater verliebt?

Karasek (seufzt tief): Das ist ganz einfach bei mir zu beantworten: weil es erst mal eine Hassliebe war. Ich bin ja zwangsläufig mit dem Theater groß geworden. Das ist mit meinem Namen auch leicht zu erschließen. Mein Vater hat ja als normaler Reporter begonnen, sich dann aber sehr schnell an der Stuttgarter Zeitung als Theaterkritiker etabliert und ist dann zu einem der zwei großen Theaterkritiker Deutschlands geworden. Also sozusagen der Kritikerpapst, wie man sie dann damals auch nannte. Das gibt es ja heute in dem Sinne gar nicht mehr. Dadurch war natürlich sein Einfluss auf die Familie, was das Theater anbelangt, riesig. Es spielte im Alltag einfach eine große Rolle. Hinzu kam, dass er dann von der Stuttgarter Zeitung noch mal als Dramaturg an das Stuttgarter Staatstheater wechselte. Das war genau die Zeit, als ich aus Venezuela zurückkam. Dadurch habe ich das Theater tatsächlich sehr hautnah und nicht nur aus der Distanz erlebt. Das hat meinen Vater auch sehr stark ausgemacht. Er war nicht der Kritiker, der große Berührungsängste mit den Künstlern hatte, sondern im Gegenteil - eigentlich fast übertrieben - die Nähe zur Kunst suchte und dadurch auch viele Freunde und Kontakt zu den Praktizierenden hatte. Dadurch bin ich in der Tat mit Schauspielern groß geworden. Die haben bei uns übernachtet, sie haben bei uns gefeiert, dann lagen sie am nächsten Morgen noch auf den Sofas rum. 

Da gibt es bestimmt ein paar gute Anekdoten? 

Karasek: Meine Mutter hatte zum Beispiel die für Deutschland gar nicht so gewöhnliche Eigenschaft gehabt, die Tannenbäume sehr bunt zu machen. Das flackerte und war sehr amerikanisch. Eines Morgens wachte ich auf, da lagen drei Schauspieler nach durchzechter Nacht bei uns im Wohnzimmer. Die haben zu mir gesagt, ob ich jemals einen fliegenden Weihnachtsbaum gesehen hätte? Ich sagte ihnen natürlich, naiv, wie ich mit sieben oder acht war: Ich habe noch nie einen fliegenden Weihnachtsbaum gesehen. Die haben dann tatsächlich den frisch von meiner Mutter dekorierten Weihnachtsbaum genommen, sind mit mir auf den Balkon und haben den auf die Kreuzung runtergeworfen. Seitdem weiß ich, was ein fliegender Weihnachtsbaum ist. 

Ach herrje, wie hat ihre Mutter da reagiert?

Karasek: Sie war furchtbar sauer. Es folgte ein Riesenstreit. Aber all das muss man vor dem Hintergrund der 68er sehen. Das waren junge Schauspieler, die das als extrem spießig empfunden haben. Und dieses extrem Amerikanische, das war sowieso ein "No Go" - das war einfach eine Protestaktion. Es war auch sehr beeindruckend, wie dieser Tannenbaum auf die Kreuzung flog. Also unvergesslich. 

Kann man sich vorstellen. Wie sind Sie danach dann selbst zum Theater gekommen? 

Karasek: Ich musste ins Theater. Man ist da immer mit auf die Premieren. Als junger Mensch habe das immer als sehr qualvoll empfunden. Das war eine Pflichtaktion und sehr mühselig: Ach, ist er gewachsen. Ach, ist er groß geworden... Man lief da so mit. Nach außen habe ich das Theater dann tatsächlich völlig verweigert. Und habe dann aber absurderweise in dieser Verweigerung - als ich bereits nach Hamburg gewechselt war - an meiner Schule eine Theater-AG gegründet. Ein richtig janusköpfiges Verhältnis sozusagen. Nach außen, zu meinem Vater habe ich gesagt: Das finde ich doof, da komme ich nicht mit. Das war Pflicht, das war Scheiße. Auf der anderen Seite gründete ich an der Schule wie verrückt diese Theater-AG, die auch sehr erfolgreich war und irrsinnige Sachen machte. Im Prinzip war ich da auch schon der Regisseur, der ich dann später einmal werden sollte. Als ich dann von der Schule runterging, machte ich das noch immer nicht bewusst zu meiner Liebe, sondern machte das eigentlich mehr, weil das mit Freunden war. Dann wollte ich eigentlich erst etwas ganz anderes studieren. Mit 20 war ich mit dem Zivildienst fertig und noch unentschlossen, was ich eigentlich werden wollte. Dann habe ich durch die Connections letztendlich erreicht, dass ich an einem Theater hospitieren durfte. Das war erstmal als Überbrückung gedacht. So bin ich nach Köln zu Jürgen Flimm gekommen. Da bin von meinem 20. Lebensjahr an geblieben. Daher habe ich auch nie studiert, ich bin direkt ans Theater. Damals gab es auch noch keine Regie-Schulen, so wie heute. Diplom-Regisseur konnte man gar nicht werden, sondern wurde das nur, indem man in die Praxis ging. Und da bin ich heute noch. 

Wie war es denn, mit so einem berühmten Vater aufzuwachsen?

Karasek: Anstrengend! Jetzt bin ich zu alt - aber es gab schon Phasen, wo ich auch sehr darunter gelitten habe. Es gab aber auch Phasen, wo ich auch sehr profitiert habe. Jetzt, wo er nicht mehr lebt, fehlt er mir. Wir hatten auf eine merkwürdige Weise, auch aus familiären Konstellationen, ein sehr enges Verhältnis. Obwohl es eine sehr große Konkurrenz in der Grundbeziehung war, war es trotzdem ein sehr, sehr inniges Verhältnis. Das passt vorne und hinten eigentlich nie zusammen. Ich kann ganz offen sagen: Ich habe ihn extrem geliebt, aber wir haben uns auch zweimal richtig geschlagen. Diese Ambivalenz hat aber nichts daran geändert, dass wir eigentlich bis zum Ende relativ treu zueinander geblieben sind. Und das mit allen Höhen und Tiefen. Als ich beispielsweise in Köln war und als Hospitant anfing, fragten sie mich nach einem halben Jahr, ob ich eine Assistenz machen will. Da habe ich erst einmal nur Halbjahresverträge bekommen, weil man sich nicht nachsagen lassen wollte, dass der Sohn von Herrn Karasek irgendwie bevorzugt wird. Das musste ich drei Jahre über mich ergehen lassen. Es war eigentlich egal, wo ich landete, es hieß immer: ja klar...

Der Name... 

Karasek: Es war im Prinzip egal, wie gut ich war. Es war immer erstmal klar, dass es der Name war. Und das hat lange gedauert, bis das selbst Erarbeitete oder das selbst Verursachte den Wert bekam, den es bei anderen bekam. Einfach, weil sie nicht diese "Vorbelastung" hatten. Am Theater kann man aber nur schwer durch Vitamin B überleben. Dazu ist der Beruf einfach zu direkt. Der funktioniert nicht, wenn man die Begabung nicht mitbringt. Und von daher war das dann irgendwann auch gegessen.

Haben Sie eigentlich ein absolutes Lieblingsstück?

Karasek: Ja, das habe ich. Also es sind im Grunde drei Stücke, die absolute Lieblingsstücke sind. Das eine ist "Frühlings Erwachen" von Frank Wedekind, das andere ist "Die Möwe" von Anton Tschechow. Das dritte ist "Romeo und Julia" von Shakespeare, weil das vom Spektrum und von dem, was er alles in diesem Stück verarbeitet, das emotionalste und das intensivste ist, wenn es um Liebe geht. Aber da ähneln sich alle drei Stücke, auch wenn es um die Enttäuschung geht, die mit Liebe verbunden ist.

In einem alten Zeitungsartikel steht eine interessante Randnotiz: Da heißt es, dass Sie am Anfang gar nicht so gerne nach Kiel kommen wollten oder wenigstens etwas skeptisch waren. Können Sie sich daran noch erinnern? 

Karasek: Ich lebte damals in Wiesbaden und die Kieler hatten einen sehr, sehr langen, schwierigen Prozess hinter sich, wo sie wirklich Probleme hatten mit der Definition: Wie sieht die Leitung aus? Machen wir eine Generalintendanz? Sind es zwei Intendanzen? Was hier in Kiel eine sehr schwierige Frage ist, weil die Häuser sehr autonom und territorial voneinander getrennt sind. Da man in der ersten Besetzungsrunde nicht fündig wurde, hatte man den Bühnenverein angerufen und gefragt, wen gibt es denn jetzt von den Jüngeren? Und da gehört ich dann zu den Auserwählten, die angefragt wurden, ob wir uns überhaupt vorstellen können, uns in Kiel zu bewerben. Da habe ich tatsächlich sehr arrogant und blöde reagiert: Oh Mann, Kiel! Da hat meine Lebensgefährtin zum Glück gesagt: Fahre doch erstmal hin und vielleicht gefällt es dir. Das Resultat sitzt jetzt neben Ihnen. 

Nun sind Sie ja bald 20 Jahre in Kiel - was ist Ihr Lieblingsort hier oben?

Karasek: Mein Strand ist Kalifornien. Da habe ich auch meinen Strandkorb im Sommer gemietet. Beim Spazierengehen bewundere ich diese Angler, die in voller Montur in das Wasser gehen und auch im Winter wirklich stundenlang da stehen und fischen. Das beeindruckt mich zutiefst. Also die Härte und Disziplin dieser Menschen auch im Winter. Ich liebe den Deich dort und das Panorama. 

Fühlen Sie sich denn jetzt als Kieler?

Karasek: Ja, total. Für meinen Freundeskreis ist das etwas ganz Schreckliches. Ich reagiere natürlich wahnsinnig belegt und beleidigt, wenn Süddeutsche immer sagen: Du bist ja in Lübeck. Sonst wissen alle meine Freunde: Alles ist besser in Kiel. Grundsätzlich kommt auch niemand dagegen an.

Aber es ist jetzt Ihr letzter Vertrag?

Karasek: Ja, ich gehe dem Ende entgegen, ins Pensionsalter. Das geht alles schneller, als man immer denkt und wahrhaben will. Wenn ich das jetzt beende, bin ich fast 67. Und dann ist auch gut. Ich glaube, dann müssen sie sich auch Gedanken machen, wie es dann mit den Häusern weitergehen soll.

Bleiben Sie dem Norden treu oder was kommt dann auf Sie zu?

Karasek: Also in jedem Fall war und bin ich in Hamburg so und so verhaftet. Dadurch, dass ich da auch die Pubertät, also die entscheidenden Jahre verbracht habe. In Hamburg bin ich aufgewachsen, habe mein Abi dort gemacht. Dort sind nach wie vor die meisten meiner Freunde. Ich schätze mal, es wird so eine Kombi Kiel-Hamburg, das ist dann am Ende im Norden absolut nicht zu toppen.

Das Gespräch führte Anina Pommerenke.

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Dieses Thema im Programm:

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