"Was der Tag bringt": Eine Gesellschaft in postpandemischer Depression
Mit "Was der Tag bringt" hat David Schalko einen humorvollen, thematisch klug und szenisch reich gestalteten Gesellschaftsroman geschrieben, in dem es vor allem um Freiheit geht.
Von seinem Bankberater muss sich Felix sagen lassen, dass es nun endlich Zeit sei, mit Ende 30 wirtschaftlich anzukommen. Dabei ist Felix angekommen - aber am Ende der Fahnenstange. Sein nachhaltiges Catering-Unternehmen hat die Corona-Pandemie nicht überlebt. Das Einzige, was ihm bleibt, ist seine geerbte Eigentumswohnung, die er nun acht Tage im Monat vermieten muss, um über die Runden zu kommen.
Eine Gesellschaft auf der Suche nach Sinn
David Schalko beschreibt mit seinem Roman "Was der Tag bringt" eine Gesellschaft in postpandemischer Depression, die nach Sinn sucht. "Im Eigentlichen ist es ein existenzialistischer Roman, weil es um das geht, was übrig bleibt, wenn Arbeit wegfällt oder andere Dinge, die den Tag strukturieren. Was Existenz überhaupt bedeutet oder Identität", so Schalko. "Es geht natürlich auch um eine Existenzkrise, sehr stark um den Begriff Eigentum und um die Dinge, die uns ausmachen, die wir in unseren Charakter integrieren - und was passiert, wenn das alles wegfällt."
Vom sogenannten "Einnisten" ist im Roman auch immer wieder die Rede. Seit seiner Kindheit wird Felix "Kuckuck" genannt, weil er als kleiner Junge lieber bei der Nachbarsfamilie wohnte als bei der eigenen. Und jetzt macht er es genauso bei seinen Freunden. Ist seine Eigentumswohnung untervermietet, muss sich Felix immer eine Bleibe suchen. Doch seine Einnist-Versuche kommen nicht gut an und lösen Konflikte aus. Auch bei seinem besten Freund Eugen, den Felix plötzlich mit ganz anderen Augen wahrnimmt. "Eugen steht für eine Art Extremkapitalismus", erklärt Schalko. "Er ist eine Art provinzieller Elon Musk. Er steht für unseren blinden Glauben an Entrepreneurs, die für uns die Probleme dieser Welt lösen, die auch nicht mehr an Staaten glauben. Und wenn, dann sind es privatisierte Staaten, weil ihre Interessen keine gesellschaftlichen sind, sondern egozentrische, und diese Figuren letztendlich an ihrer Egozentrik scheitern - was man auch an Elon Musk beobachten kann."
"Was der Tag bringt": Ein Buch über Einsamkeit
Ohne messbaren ökonomischen Erfolg sieht sich Felix als Gescheiterter. Aber beim genaueren Hinsehen merkt er, dass nicht er, sondern die anderen gescheitert sind. Sie verlegen ihr Leben in digitale Welten, sind von Angst erfüllt und verstecken sich hinter einer Lebensform, bei der alle nur das Gleiche machen. Felix hingegen sehnt sich, wenn auch vergebens, nach wahrhaftiger Geborgenheit.
"Die Gesellschaft löst sich insofern auch auf, weil es eine zunehmende Vereinzelung gibt, und Räume, die ein Miteinander sind, auch weniger werden", meint Schalko. "Einsamkeit spielt eine große Rolle in unserer Gesellschaft, auch in dem Roman, und der Kapitalismus bekommt seine Risse, weil es ein System ist, das wir zwar als Naturgesetz empfinden, gleichzeitig aber spüren, dass es keins ist."
Umgeben von einem derartigen System, hat Felix nur einen Freund: den Künstler Marcel Duchamp, den David Schalko seinem Romanhelden in Form eines guten Geistes zur Seite stellt: "Duchamp steht vor allem für eine Art Indifferenz, eine glückliche Indifferenz, eine Gelassenheit dem Leben gegenüber. Er war aber auch jemand, der sich aus diesem System rausgenommen hat und mit sehr wenig Geld ausgekommen ist. Er hat ein sehr reduziertes und kompromissloses Leben geführt, eines des Müßiggangs, das sich sehr damit beschäftigt hat, was der Tag bringt."
Ein "existenzialistischer Roman fürs digitale Zeitalter"
Mit "Was der Tag bringt" hat David Schalko einen humorvollen, thematisch klug und szenisch reich gestalteten Gesellschaftsroman geschrieben, in dem es vor allem um Freiheit geht. Darf man sich den Romanhelden Felix so wie Albert Camus' Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen? "Das ist ein sehr schöner Hinweis, weil sich dieser Roman als existenzialistischer Roman fürs digitale Zeitalter versteht", sagt Schalko. "Und Felix vielleicht im Gegensatz zu Sisyphos nicht unbedingt ein glücklicher Mensch ist, aber er ist auf jeden Fall ein befreiter Mensch. Und vielleicht geht’s ja auch nicht immer nur ums Glück!"
Was der Tag bringt
- Seitenzahl:
- 304 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Kiepenheuer & Witsch
- Bestellnummer:
- 978-3-462-00408-3
- Preis:
- 24 €