Literatur wie das wahre Leben
Acht Jahre sind vergangen, seit der Schriftsteller Ulrich Peltzer seinen letzten Roman veröffentlicht hat. "Teil der Lösung" hieß er und wurde von der Kritik gefeiert und mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Seitdem hat Peltzer zwei Filme mit dem Regisseur Christoph Hochhäusler realisiert. "Die Lügen der Sieger" läuft derzeit in den Kinos. Und er wurde zu den renommierten Poetikvorlesungen in Frankfurt am Main eingeladen. Nun erscheint sein neuer Roman: "Das bessere Leben".
Spannungsreiches Globalisierungsdrama
"Angefangen wird mittendrin" - was Ulrich Peltzer mit dem Titel seiner Frankfurter Poetikvorlesung meint, klingt in "Das bessere Leben" so:
Er schreckte hoch. Dunkelheit um ihn herum, kein Geräusch, nur sein Atem. Dieser Knall, als das Barackendach einstürzte, beißender Rauch, ein Blitzen, rot und blau, über den Köpfen der johlenden Menge. Buchzitat
Sylvester Lee Fleming ist einer von drei Protagonisten. Er spielt eine sehr zwielichtige Rolle in diesem spannungsreichen Globalisierungsdrama zwischen Sao Paulo und Indonesien, Zürich und Amsterdam, Turin und Berlin. Was ist er? Finanzjongleur? Waffen- und Drogenhändler? Risikomanager? Teufel vielleicht? Wenn er an seine Studienjahre zurückdenkt, an seine Liebe zu Allison, die bei einer Antikriegsdemonstration in seinen Armen starb, war selbst der Teufel einmal Idealist:
Man sah sich ab und zu, tratschte ein bisschen, rauchte zusammen, Geld wanderte von der einen in die andere Tasche, im März ließ er sich von Allison überreden, an einer Demonstration teilzunehmen, die sie organisiert hatte. Begleitet von den Drohgebärden und Flüchen der Passanten einmal quer durch die Stadt hinter einem straßenbreiten Transparent, auf dem BRING ALL THE TROOPS HOME NOW stand, Allison in der ersten Reihe klatschend und skandierend, no more war, no more napalm, no more Nixon. Buchzitat
Getriebene mit Brüchen in ihrer Biografie
Der andere Protagonist heißt Jochen Brockmann, stammt - wie sein Erfinder - aus Krefeld am Niederrhein und lebt als Sales-Manager in Turin. Da ihm beruflich das Aus droht, nachdem er sich bei einem Deal mit einer asiatischen Firma verspekuliert hat, plant er den Ausstieg. Er bringt sein Erspartes auf ein Schweizer Konto. Ein letzter Rettungsversuch führt ihn nach Amsterdam, wo er - rein zufällig - die Geschäftsfrau Angelika Volkhart kennen- und allmählich auch lieben lernt. Alle drei Protagonisten sind Getriebene, leiden oft an Schlaflosigkeit, trinken viel und haben unzählige Brüche in ihren Biografien.
Es gab keine Erklärung, keine jedenfalls, die einleuchtend gewesen wäre. Missgelaunte Elben, die nach dem Einschlafen auf seiner Brust Platz nahmen und ihm den Atem raubten, obwohl sie nicht den geringsten Grund dazu hatten, alles in allem. Vielleicht die Wirkung eines Fehlers, den er begangenen haben könnte, vor dreißig oder vierzig Jahren, etwas Unentschuldbares, das auf diese Weise abzugelten sei, träumend. Buchzitat
Im freien Fall ist endlich Platz für die Liebe
Wie sehr sich das 20. Jahrhundert im 21. widerspiegelt, wie die Gegenwart im Jahr 2006 noch bestimmt ist von Geschichten aus den 1930er-Jahren in Moskau zum Beispiel, wie die Träume der Jugend bei den etablierten Erwachsenen durchschimmern - all das erzählt Ulrich Peltzer in seinem neuen Roman, und er hat dafür eine ebenso anspruchsvolle wie berauschende Sprache gefunden. Wie in seinen früheren Büchern durchläuft der Leser die Bewusstseinsströme seiner Figuren vor allem durch innere Monologe: sprunghaft und assoziationsreich.
Alle Figuren hängen irgendwie miteinander zusammen. Manche Geschichte beginnt, aber hört nie auf oder wird nie fortgesponnen. Literatur wie das wahre Leben. Angefangen wird mittendrin. Und mittendrin auch aufgehört. Wenn alle Stricke reißen, so erfahren es Jochen und Angelika am Ende, entsteht für den freien Fall der Liebe endlich genug Raum. Vielleicht.
Das bessere Leben
- Seitenzahl:
- 448 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- S. Fischer Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-10-060805-5
- Preis:
- 22,99 €