Ruhm und Aufstieg eines Ritters
Der Historiker Thomas Asbridge gilt als Kenner der höfischen Kultur und der Welt des Mittelalters. Jetzt hat er sich mit einer legendären Figur des Mittelalters beschäftigt: mit Guillaume le Maréchal. Der in England unter dem Namen "William Marshal" bekannte Ritter war ein enger Freund von Richard dem I. von England, auch Richard Löwenherz genannt. Er verkörperte die Ideale des Rittertums und war Mitunterzeichner der Magna Carta, die vor 800 Jahren aufgesetzt wurde und bis heute als ein Eckstein westlicher Demokratie gilt.
Leben und Wirken von Guillaume le Maréchal
Was also war das für ein Mann? Wie genau verlief sein Leben? Diesen Fragen spürt Thomas Asbridge in seinem Buch "Der größte aller Ritter" nach: "Ich möchte vor allem die menschlich nachvollziehbaren Erlebnisse beschreiben, die Dilemmata, in denen sich Menschen befunden haben, und in welcher Weise sich der Umgang damit dann in einer größeren historischen Dimension ausgewirkt hat."
Diesem Anspruch wird der Historiker Thomas Asbridge gerecht. Seite für Seite entfaltet er nicht nur das Leben und Wirken von Guillaume le Maréchal, sondern führt den Leser ein in eine Welt der Ritter, der Turniere, des mehr oder weniger betuchten Adels und der kriegerischen Konflikte. Die waren an der Tagesordnung.
Zeit des Umbruchs
Man darf sich England im 12. Jahrhundert nicht als die heute gefestigte Staatsmacht vorstellen. Es waren Zeiten des Umbruchs: Zum Reich gehörten große Teile Frankreichs und die königliche Erbfolge war ungeklärt. Eine ideale Welt für all jene, die mit Hinterlist und Tücke und zur Not auch mit Waffengewalt an die Macht kommen wollten. Ein solcher Mensch muss wohl auch Guillaume le Maréchals Vater John gewesen sein. Mit dessen Verrat an seinem Sohn beginnt Asbridge die Biografie:
Im Jahr 1152 fasste König Stephan von England den Entschluss, einen fünfjährigen Jungen hinzurichten. Dieses Kind - Guillaume le Maréchal - hatte nichts verbrochen. Es war eine Geisel - der Krone als Unterpfand übergeben für das Ehrenwort seines Vaters, einer nicht sonderlich bedeutenden Figur im großen Spiel um politische Macht, das damals in einem vom Bürgerkrieg verheerten Königreich ausgetragen wurde. Als Guillaumes Vater praktisch unmittelbar danach seinen dem König gegebenen Schwur brach und erklärte, dass "ihm das Kind egal" sei, schließlich verfüge er noch "über Amboss und Hammer, weitaus bessere zu schmieden", war der König aufs Äußerste erzürnt. In seiner Wut befahl er, den Jungen "zu holen und zwecks Erhängung zum Galgen zu bringen." Leseprobe
Mündlich überlieferte Geschichte
"Es ist schwierig, heute nachzuvollziehen, was genau damals geschah, also ob Williams Leben wirklich gefährdet war. (…) Ob dieses Erlebnis ihn traumatisierte, ist kaum zu sagen. Ich denke aber, die Tatsache, dass wir heute davon wissen, bedeutet, dass er davon erzählt haben muss. Denn das meiste aus seiner Kindheit ist nicht verbürgt; alle Informationen aus dieser Zeit entstammen mündlicher Überlieferung. Er erzählte seinen Männern davon, und diese wiederum gaben die Geschichte weiter an denjenigen, der seine Biografie einige Jahre nach seinem Tod aufschrieb", erklärt Asbridge.
Das ist das vielleicht Erstaunlichste an diesem Buch. Hier erfahren wir vom Leben eines bedeutenden Ritters, Diener von fünf englischen Königen, und die Hauptquelle ist eine in Versen verfasste Biografie, aufgeschrieben in der Mitte der 1220er-Jahre. Wenige Jahre nach dem Tod Guillaume le Maréchals, 1219, wurden seine Heldentaten, vor allem auf den Turnierplätzen, in 19.215 Verszeilen niedergelegt.
Ausführliche Beschreibung von Ritterturnieren
"Ich denke wir können diese Biografie nicht für bare Münze nehmen", sagt der Autor. "Sie ist so aufgebaut, dass Guillaume als unfehlbarer Held dargestellt wird. Also darf man nicht jede Zeile glauben. (…) Vor allem die Beschreibung der Ritterturniere nimmt einen großen Raum in dem Text ein. (…) Es ist auf jeden Fall lohnenswert, sich einige Tage mit dem Originaltext zu befassen, allerdings sollte man dann wirklich begeistert von Ritterturnieren sein. Denn die Verse sind voll von sehr ausführlichen Beschreibungen, wer wem welche Hiebe versetzte, was für Worte gewechselt wurden, und all das deutet darauf hin, dass der Text in einer höfischen Gesangs-Tradition verstanden werden kann."
Doch nicht nur diese Ebene der tatsächlichen, vielleicht etwas geschönten Geschichte präsentiert das Buch, Thomas Asbridge bedient sich unterschiedlichster Quellen. Er geht ausführlich auf die Welt der Ritter ein, beschreibt die ritterlichen Tugenden und die höfischen Bräuche der Zeit und begleitet Guillaume le Maréchal auf seinem Weg vom mittellosen Adeligen aus gutem Haus bis zum Mitverfasser der Magna Carta.
Das ist spannend, gut zu lesen und ermöglicht auch Menschen, die im Schulunterricht freundlich dösend in anderen Welten waren, einen Einblick in eine faszinierende Epoche europäischer und englischer Geschichte.
Der größte aller Ritter
- Seitenzahl:
- 478 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Klett-Cotta Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-608-94923-0
- Preis:
- 29,95 €