"Striker": Schlafloser, aufreibender Roman von Helene Hegemann
Helene Hegemann ist Schriftstellerin, Filmemacherin, Regisseurin und Host der ARD-Literatursendung "Longreads". Mit "Striker" legt sie einen Berlin-Roman vor, sieben Jahre nach "Bungalow", der für den Deutschen Buchpreis nominiert war.
Eine junge Frau, Mitte 20 - im Buch heißt sie nur "N" - lebt in einem heruntergekommenen Berliner Bezirk. Schon seit Jahren kann sie nicht schlafen. Eines Nachts hört N zum ersten Mal Schritte auf dem leeren Dachboden über ihrer Wohnung. Am nächsten Morgen schaut sie aus dem Fenster: Die gegenüberliegende Brandmauer ist vollgesprayt mit riesigen runenartigen Zeichen. Das packt sie.
Es ist das Werk eines Einzelnen, genauer, das eines einzelnen Mannes. Die Zeichen sind kunstfertig und präzise. Trotzdem kommen sie ihr plump vor. Oder hochmütig. Ja, das ist es. Eine Frau hätte die bis zum Himmel strotzende Hybris, mit der sie an die Wand gesprayt worden sind, besser zu tarnen gewusst und dafür gesorgt, dass man beim Betrachten nicht vom Größenwahn des Entstehungsprozesses abgelenkt wird. Sie denkt darüber nach, die ganze fucking Zeit. Leseprobe aus: "Striker"
Angriffslustig feministischer Ton
Helene Hegemanns Ton ist auch in ihrem neuen Roman "Striker" angriffslustig feministisch. Sie badet in langen, lustvoll-komplizierten Sätzen. Den Zugang zu diesem Text muss man sich mühevoll erarbeiten. Da fließt nichts ineinander. Die ersten 100 Seiten lesen sich ruppig und kühl. Zugegeben: Das passt zur Story. N ist Kampfsportlerin von der harten Sorte. Blut, Schweiß und Knochenbrüche schocken sie nicht. Sie trainiert andere und sich selbst in einer Kampfsportschule.
Der einzige Ort, an dem die Welt für sie in Ordnung scheint, an dem ihr die Verhältnisse klarer und gesicherter vorkommen als in ihrem eigenen Bett, ist diese Sportschule. Keine Trennung, keine Ausgrenzung, nur Hierarchie. Leseprobe aus: "Striker"
Dystopisches Setting mit Leerstellen
Hegemann verwebt die Probleme unserer Zeit zu einer Dystopie: In Ns Gegenwart steht das System vor dem Zusammenbruch. Der Kapitalismus tobt. Großkonzerne prägen das Stadtbild. Irgendwo - recht nah - finden Kriege statt. Ns Verwandte sind fast alle tot - warum, lässt die Autorin offen. Überhaupt mutet sie uns so einige Leerstellen zu. Das macht sie aber geschickt: Denn die entscheidenden Erzählstränge liefert sie. Etwa die Geschichte der rätselhaften obdachlosen Ivy, die sich mit Koffern und Tüten im Treppenhaus einrichtet und als Freundin des Sprayers Striker vorstellt:
Dann steht sie da, wie ein schiefer Leuchtturm, in ihrer durchnässten Jacke. Nicht völlig weggedriftet, aber fast, Grenzbereich. Und plötzlich sagt Ivy zu N, dass sie eine schöne Aura hätte. Leseprobe aus: "Striker"
Zuerst frostig, dann nahbarer
Der Roman verhandelt die Anatomie der Angst. Was macht es mit Menschen, keinen Halt mehr zu haben? Wohin bewegt sich eine Gesellschaft, die nichts mehr hofft? Brodelt Systemkritik in den Graffiti der Stadt? Wo gibt es noch echte Begegnung?
Obwohl N bei ihren Kämpfen stark wirkt, ist sie innerlich zerbrechlich, ziellos, einsam. Frostig ist ihre Affäre mit einer Politikerin, ambivalent ist die Freundschaft mit ihrem Trainer. Seelenverwandtschaft spürt sie nur zu den vielen Obdachlosen in der Stadt, insbesondere Ivy, die ihr so ähnlich sieht, dass letztlich sogar ein unfreiwilliger Rollentausch passiert. Und da wird der Roman dann zum Glück gefühlvoller und die Figuren nahbar.
Lesen als schmerzhafter Prozess
Es fühlt sich schmerzhaft, fast körperlich an, dieses Buch zu lesen. Die Autorin diskutiert Klassismus, Kapitalismus und die Einsamkeit unserer Zeit - das macht sie selbstbewusst und entschlossen, aber auch etwas zu analytisch-verkopft. "Striker" ist ein schlafloser, aufreibender Roman, der nachdenklich macht.
Striker
- Seitenzahl:
- 192 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Kiepenheuer & Witsch
- Veröffentlichungsdatum:
- 13. März 2025
- Bestellnummer:
- 978-3-462-00595-0
- Preis:
- 23 €
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