Graphic Novels: "Die Straße", "Der verkehrte Himmel", "Ready America"
Comic-Experte Mathias Heller stellt eine packende Dystopie vor, der man sich nur schwer entziehen kann, einen hitzigen Thriller um das Thema Menschenhandel und ein typografisches Roadmovie über Los Angeles.
"Die Straße": Dystopischer "The Walking Dead"-Stoff
"Bester Roman des Jahrzehnts" schrieb das "Time"-Magazin über den Roman "Die Straße" des US-amerikanischen Autors Cormac McCarthy, für den er auch den Pulitzer Preis 2007 bekam. Der Franzose Manu Larcenet hat daraus eine packende Graphic Novel gemacht.
Die Welt ist am Ende, alles zerstört. Nur ein paar wenige Menschen haben überlebt. Ein Vater und sein kleiner Sohn machen sich mit einem mit wenigen Habseligkeiten beladenen Einkaufswagen aus der Eiseskälte auf den Weg in wärmere Gefilde ans Meer. Vorbei an marodierenden Gangs, Ruinen, kaputten Autos, in denen Leichen verwesen. Immer in Deckung und auf der Suche nach etwas Essbarem und dem Wunsch, irgendwie zu überleben, wenigstens den nächsten Tag.
Der Zeichner Manu Larcenet ist ein alter Hase. Er hat bereits mit Lewis Trondheim und Joann Sfar zusammengearbeitet. Er weiß, wie man Geschichten zeichnerisch erzählt. Er hält oft Abstand zu den Figuren, um im nächsten Bild ganz dicht am Geschehen zu sein. Seine Bilder sind faszinierend und erschreckend detailliert. Man hört den eisigen Wind, riecht den Dreck und spürt die Hoffnungslosigkeit des Jungen und des Vaters. Auch wenn "Die Straße", so der Titel, dystopisch ist - man kann sich diesem "The Walking Dead"-Stoff nur äußerst schwer entziehen.
"Der verkehrte Himmel": Spannungsgeladene Action und viel Menschlichkeit
Tâm ist ein Teenie. Sie ist äußerst selbständig für ihr Alter und hat das Herz am rechten Fleck. Mit ihrem Bruder kauft sie auf dem sogenannten Polenmarkt in Berlin-Lichtenberg für das elterliche vietnamesische Restaurant ein Hackbeil-Messer, welches aber gleich wieder in einem Van bei einer merkwürdigen jungen Frau verschwindet. Was folgt, ist spannungsgeladene Action gepaart mit viel Menschlichkeit vor dem Hintergrund des internationalen Menschenhandels. Da gibt es tiefsinnige Gespräche, Schlägereien oder wilde Verfolgungsjagden.
Der Berliner Autor und Zeichner Mikael Ross ist mit den lebensechten Dialogen und dem feinen Gespür für Rhythmik in Bild und Sprache ganz nahe an der Realität. "In der Recherche ist das auch nochmal aufgetaucht, dass Lichtenberg als Stadtteil eine Rolle beim internationalen Menschenhandel spielt", erzählt der Autor. "Die Menschen, die in Essex in England gestorben sind, sind nachweislich, was man von ihren Handydaten auswerten konnte, ein paar Tage vorher in Berlin gewesen."
"Der verkehrte Himmel", so der Titel, überzeugt auf ganzer Linie und schafft die Balance zwischen inhaltlicher Tiefe und darstellerischer Leichtigkeit.
"Ready America": Typografisches Roadmovie
Wenn eine eine Reise macht, gibt es einiges zu zeichnen. Das hat die Illustratorin Anna Haifisch gemacht. Von Oktober bis Dezember 2022 war sie Artist in Residence in der Villa Aurora, der Künstlerresidenz in Pacific Palisades in Los Angeles. Die grafikaffine Künstlerin war von den optischen Eindrücken in L.A. so geflasht, dass sie die Unmengen an Firmenschildern, Werbebannern, Plakatwänden und Schaufensterbeschriftungen und dem, wie sie es nennt, "Eintopf aus Eleganz und Spaß" irgendwie festhalten musste - natürlich im typischen Haifisch-Stil mit Tusche und Buntstiften.
"Ready America" heißt ihr DIN-A4-großes Buch. Darin sehen wir unter anderem eine Anzeige für einen Seafood-Markt mit einem grinsenden Hummer im Liegestuhl, oder wir werfen einen Blick ins Supermarktregal mit grafisch geordneten Steaksaucen. Anna Haifisch vermischt ihre Reality-Skizzen mit Momenten der Looney Tunes wie Duffy Duck oder Coyote und den traditionellen Haifisch-Tieren wie dem filigranem Windhund. "Ready America" ist ein typografisches Roadmovie mit Überraschungen, die entdeckt werden wollen.