"Schattenzeit": Zwischen Alltag und Abgrund
Oliver Hilmes porträtiert im bewegenden Sachbuch "Schattenzeit" das Jahr 1943 in Deutschland. Im Mittelpunkt steht der legendäre Pianist Karlrobert Kreiten, der von den Nazis hingerichtet wurde. "Schattenzeit" erscheint am 25. Januar.
Über bestimmte Jahre in der Geschichte Deutschlands gibt es etliche Bücher - etwa 1913 oder 1939. Nun ist ein Buch erschienen über das Jahr 1943. Was geschah vor 80 Jahren in unserem Land? Oliver Hilmes, der schon großartige und sehr erfolgreiche Bücher über Alma Mahler-Werfel oder Cosima Wagner verfasst hat, hat sich mit dieser Zeit beschäftigt. Im Mittelpunkt seines Buches steht der legendäre Pianist Karlrobert Kreiten, der 1943 von den Nazis hingerichtet wurde.
Oliver Hilmes erzählt vom Jahr 1943
Oliver Hilmes ist einer der seltenen Autoren, die so schreiben können, dass man ihre Geschichten liest, selbst wenn man sich zunächst überhaupt nicht für das Thema interessiert oder nichts mehr über diese Epoche lesen will. Der Pianist Karlrobert Kreiten füllt Anfang 1943 mit seinem Spiel Konzerthallen. Viktor Klemperer hält in seinem Tagebuch fest, was es bedeutet, mit dem Judenstern durch die Straßen zu gehen. Thomas Mann notiert im Exil sein Befremden über das, was er aus Deutschland hört.
Münchhausen im Kino, Capri im Radio, Zweiter Weltkrieg im Gange
Ein Junge namens Hansi Rosenthal wird unter Lebensgefahr von Ida Jauch, einer mutigen Frau in einem Schrebergartenhäuschen versteckt, der Film Münchhausen, Drehbuch Erich Kästner, startet in den Kinos und Magda Hain besingt mit unschuldiger Stimme Capri.
Vieles geschieht nebeneinander. Göring tritt in Phantasieuniformen wie ein Operettenstar auf. Joseph Goebbels fragt das Volk, ob es den totalen Krieg wolle. In Stalingrad sterben zehntausende Soldaten. Bei Oliver Hilmes geht es konsequent einmal durch das Jahr 1943 von Januar bis Dezember.
Pianist Karlrobert Kreiten: Äußerungen über Hitler führen zum Verhängnis
Er erzählt immer wieder von dem Wundermann am Flügel: Karlrobert Kreiten, der bei einem Konzert Spitzenleistungen an Technik und Ausdruckskraft vollbringt. Kreiten logiert kurze Zeit in Berlin am Lützowufer 1 bei einer Dame namens Ellen Ott-Monecke. Bei einem unerfreulichen Frühstücksgespräch mit seiner Gastgeberin äußert er sich kritisch zu Hitler und dem Krieg.
Dieses Gespräch mit der fanatischen Nationalsozialistin wird ihm zum Verhängnis. Sie berichtet zwei Freundinnen von seinen Aussagen und denunziert dann Karlrobert Kreiten. Er wird noch im Hotel in Heidelberg verhaftet und nach einigen Monaten Untersuchungsgefängnis, Verhören und Folter wird Karlrobert Kreiten am 7. September mit 27 Jahren von den Nazis ermordet.
Oliver Hilmes berührt und spendet Hoffnung im Sachbuch
Die Familie, die immer wieder versucht hat, ihn aus dem Gefängnis zu retten, bekommt im Oktober 1943 eine Rechnung zugestellt für die Kosten der Gestapo-Haft. Für die Hinrichtung ihres Sohnes müssen sie 639,20 Mark bezahlen. Der Vater Theo hat später über seinen Sohn ein Buch geschrieben mit dem Titel: "Wen die Götter lieben". Er und seine Frau Emmy veranstalteten in Düsseldorf in den 50er-Jahren Hauskonzerte und ihre Wohnung wurde zu einer kulturellen Begegnungsstätte. 2016 wäre Karlrobert Kreiten 100 Jahre alt geworden und ein Kölner Musiklabel hat sämtliche erhalten gebliebenen Aufnahmen veröffentlicht.
Selten passiert es in Zeiten von starker Abstumpfung und Reizüberflutung, beim Lesen noch so berührt zu werden. Oliver Hilmes schafft das mühelos. Und lässt uns zum Schluss die Hoffnung, dass es nach Jahren der Katastrophen auch wieder besser werden kann.
Schattenzeit. Deutschland 1943: Alltag und Abgründe.
- Seitenzahl:
- 304 Seiten
- Genre:
- Sachbuch
- Verlag:
- Siedler
- Bestellnummer:
- 978-3-8321-8204-5
- Preis:
- 24 €