Buch-Cover: Max Richard Leßmann - Sylter Welle © KiWi Verlag

"Sylter Welle": Max Richard Leßmanns Liebeserklärung an seine Großeltern

Stand: 23.08.2023 14:07 Uhr

Würden wir unsere Familienangehörigen auch lieben, wären sie nicht mit uns verwandt? Max Richard Leßmanns Debütroman "Sylter Welle" ist ein unterhaltsames Porträt der westdeutschen Nachkriegsgeneration.

von Katja Eßbach

Familie sucht man sich nicht aus, man hat sie. Und Max Richard Leßmann hat eine, die seine Ex-Freundin mal zu folgender Frage veranlasst hat: "Wen von diesen ganzen Leuten würdest du eigentlich mögen, wenn es nicht deine Familie wäre?" Familie, so Leßmann, ist einfach ein sehr ambivalentes Thema: "Familie ist gleichzeitig ein sehr sicherer Raum und ein Raum für ganz große Unsicherheiten. Und das ist ein Spannungsfeld, das ich immer sehr interessant fand. Ich habe schon immer wahnsinnig gern Bücher über dieses Thema gelesen und freue mich jetzt auch, dass zufällig mein allererster Roman genau dieses Thema behandelt. So zufällig wahrscheinlich dann doch gar nicht."

"Sylter Welle": Leßmann beweist, dass er auch Prosa kann

Max Richard Leßmann ist ein Poet. Im vergangenen Jahr erschien sein Lyrikband "Liebe in Zeiten der Follower", fast täglich postet er ein Gedicht auf Instagram. Seine Sprache ist warm und zugewandt. Kein überflüssiges Wort, ein Schuss Melancholie, gebrochen von Witz. In seinem autofiktionalen Debütroman "Sylter Welle" beweist Leßmann, dass er auch Prosa kann. Er beobachtet genau und beschreibt, was wir anderen auch sehen - nur sieht er es ein bisschen besser:

Der Bahnsteig ist so überfüllt mit Rentnern und Rentnerinnen in bunter Outdoorausrüstung, dass ich meine Großmutter nicht gleich unter ihnen ausfindig machen kann. Ich frage mich ernsthaft, wofür man in Westerland Bergschuhe braucht, als mir ein verträumter Expeditionsteilnehmer fast auf die Füße tritt. Auf Dünen steht kein Gipfelkreuz. Leseprobe

Der wahrscheinlich letzte Urlaub auf Sylt

Auf dem Bahnhof in Westerland wird der Autor von seiner Großmutter Lore abgeholt. Seit seiner Kindheit verbringt er mit ihr und dem Großvater Ludwig Ferienzeit auf Sylt. Mittlerweile sind Lore und Ludwig alt geworden, der diesjährige Urlaub wird wahrscheinlich der letzte gemeinsame sein. Die beiden sind 60 Jahre miteinander verheiratet und fast schon symbiotisch, sagt Max Richard Leßmann: "Man kann nicht mehr so richtig sagen, wo der Eine anfängt, und der Andere aufhört - sie ergänzen sich sehr stark. Lore ist sehr pragmatisch, sehr hart, sehr kühl, sehr streng. Ludwig ist sehr spielerisch, tänzelnd, aber auch ganz schön neben der Spur und wird von Lores Strenge immer wieder eingefangen. Wie man sich da so als Enkel fühlt, zwischen diesen beiden sehr starken, eigenwilligen Charakteren, das habe ich in meinem Buch versucht einzufangen."

Und so beschreibt Leßmann, manchmal belustigt distanziert, manchmal emotional, die Tage auf Sylt. Wie er mit den Großeltern in einem Zimmer schlafen muss, obwohl er gern ein eigenes hätte, die Oma das aber für Verschwendung hält. Oder wie sie in Westerland ein Strandmuschel-Konzert besuchen:

Sie mutet ein wenig an wie die Oper von Sydney für Arme. Nur eben für Reiche. Während der Saison kann man hier fast täglich den zärtlichen Klängen von bundesweit berüchtigten Coverbands oder Shantychören lauschen, während man sich auf harten weißen Plastikbänken fläzt und gierige Möwen mit durchweichten Eiswaffeln füttert. Leseprobe

Brodelnde Konflikte und tiefe Liebe

"Sylter Welle" ist ein unterhaltsames Porträt der westdeutschen Nachkriegsgeneration. Leßmann erzählt die Geschichte von Lore und Ludwig, aber auch die des verstorbenen Lieblingsonkels Jakob. Er schreibt von Sommern auf dem Campingplatz und Zwistigkeiten um Butter oder Margarine. Der leichte Ton steht dabei manchmal in direktem Gegensatz zu brodelnden Konflikten und Verletzungen. Dass trotzdem immer auch Liebe im Spiel ist, kann man aber zwischen jeder Zeile lesen. Familie eben.

Sylter Welle

von Max Richard Leßmann
Seitenzahl:
224 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Kiepenheuer & Witsch
Bestellnummer:
978-3-462-00404-5
Preis:
22 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 23.08.2023 | 12:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Romane

Viele Bücher in Regalen in einer Buchhandlung, eine junge Frau steht vor einem der Borde und zieht Bücher heraus © Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Rolf Vennenbernd

Bücher 2023: Diese Romane haben uns bewegt

Ob Juli Zehs "Zwischen Welten", Stuckrad-Barres "Noch wach?" oder Kehlmanns "Lichtspiel" - viele Bücher haben 2023 für Gesprächsstoff gesorgt. mehr

Ein Latte Macchiato, eine Brille und eine Kerze liegen auf einem Buch © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun

Neue Bücher 2024: Die interessantesten Neuerscheinungen

Unter anderem gibt es Neues von Martina Hefter, Frank Schätzing, Markus Thielemann, Isabel Bogdan oder Lucy Fricke. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Sänger Maxim von der Band The Prodigy während eines Auftritts in Kopenhagen 2023. © picture alliance / Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm Foto: Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm

Hurricane Festival: The Prodigy, Apache 207 und Sam Fender 2025 dabei

Die englische Elektro-Punk-Band The Prodigy und ein Who-is-Who der deutschen Pop- und HipHop-Szene haben sich für kommendes Jahr angekündigt. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?