Roman "Sunny": Sanfte Liebesgeschichte von Karin Kalisa

Stand: 05.11.2024 06:00 Uhr

Bekannt wurde Karin Kalisa durch ihren 2015 erschienenen Roman "Sungs Laden". In ihrem Roman "Sunny" geht es um zwei männliche Hauptfiguren, die beide große, aber unglücklich Liebende sind.

von Annemarie Stoltenberg

Jon ist kurz vor dem Abitur von der Schule geflogen und fürchtet sich vor einer Zukunft ohne schützende Institution. Außerdem könnte er den Kontakt zu Sunny verlieren, nach der er sich so sehnt, dass es weh tut. Er denkt unentwegt an sie, und dann hört er es im Radio:

(…) in genau dem Moment, in dem er an Sunny dachte, indem er ihren Namen dachte (…) kam dieses Wort, kam ihr Name über die Lautsprecher in sein Ohr und verschmolz dort mit dem gedachten Wort, sodass es war, als wenn das Wort aus seinem Kopf durch den Kehlkopf eines anderen Menschen ins Radio und von dort über den Lautsprecher zurück in sein Ohr gedrungen war, und nicht nur in seines, sondern hörbar für die ganze Welt. Leseprobe

Raffiniert verflochtene Erzählstränge

Die zweite Hauptfigur ist Benno, der zu DDR-Zeiten an einer Jugendhochschule in der Nähe von Berlin ausgebildet wurde. Dort hat er sich in Alemee verliebt, mit der er nach Äthiopien ausgewandert ist. Er wurde von Alemees Familie nicht akzeptiert. Schließlich hat auch sie sich von ihm abgewendet, und nun ist er nach Deutschland zurückgekehrt. Aber die DDR gibt es nicht mehr. Alles ist fremd und anders geworden.

Diese beiden Geschichten werden abwechselnd erzählt und schließlich raffiniert verflochten. Wir lernen Jon und auch seine Eltern kennen, die unter spärlichsten Bedingungen, bei sengender Hitze den Sommer in der Nähe von Berlin verbringen. Sie versuchen, eine Lösung zu finden für Jons Schulproblematik. Er war zwar gern in der Schule, aber ein schlechter Schüler, weil ihn das meiste nicht interessiert hat.

Zwei Menschen, die in Not zusammenrücken

Jons Eltern sind gebildete, aber lebensuntüchtige Menschen, die keine Lösungen finden, aber mit einem Vertreter der Behörde über den Philosophen Foucault diskutieren. Jon fühlt sich allein gelassen.

Die zweite Hauptfigur Benno ist ebenso einsam und entwurzelt, weil er sich, aus Äthiopien zurückgekehrt, in dem neuen politischen System nicht zurechtfindet. Er geht dorthin, wo früher die Jugendhochschule der DDR war, wo er ausgebildet wurde. Inzwischen ist es eine Ruine, ein Lost Place. Er denkt über seine DDR-Vergangenheit nach:

War es erhebend für sie gewesen, nicht nur irgendwo im Grünen mit 'Jugendfreund' oder 'Genosse' angesprochen zu werden, sondern mit 'Hauptmann' in einem Ministerium? Oder waren sie erpresst worden? Waren sie selbst ins Visier geraten und mussten nun liefern? Oder war es Liebe? Zur Partei? Zu einer höheren Gerechtigkeit? Leseprobe

Die ehemalige Kaderschmiede der DDR, in einem verlassenen Gebäude mitten im Wald. Hier stromert nun auch Jon herum und lernt Benno kennen. Zwei Menschen, die in Not zueinander rücken - so könnte es weitergehen. Der Roman nimmt dann Fahrt auf. Erzählt ist er in einem wunderbar sanften Ton. Karin Kalisa hat die große Gabe, die in unserer gegenwärtigen Gesellschaft überall herrschende Aufgeregtheit zu beschwichtigen.