Roman "Lichtungen": Iris Wolffs poetischer Widerstandsakt
Iris Wolff erzählt in ihrem Roman "Lichtungen" von einem Heute im Erwachsenenleben aus, systematisch Kapitel für Kapitel Richtung Kindheit.
"Es war und es war nicht", heißt die Überschrift von Kapitel "Neun". Damit beginnt der Roman und endet mit Kapitel "Eins". Lev und Kato haben sich im kommunistischen Vielvölkerstaat Rumänien als Kinder angefreundet, aus den Augen verloren und wiedergefunden. Sie unternehmen eine gemeinsame Reise:
Die Fähre zog eine schäumende Gischtspur hinter sich her. Ein weißer Bogen im Blau, der noch lange ihren Weg nachzeichnete. Dieselgeruch, Lautsprecherdurchsagen, vom Wind zerhackt; er war so stark, dass sie sich schräg gegen ihn lehnen konnten, mit aufgeblähten Shirts, flatternden Hosen, Brausen im Ohr, im Kopf, im Körper. Noch Minuten später, im Innern der Fähre, war dieses Brausen zu spüren, ein Nachbeben, Nachklang (…). Leseprobe
Iris Wolff verwendet starke Bilder
Mit außergewöhnlichen, starken und zarten Bildern erzählt Iris Wolff von einer Kindheit und Jugend in einer Diktatur, deren Repressalien sich wie dicker Mehltau auf die Seelen der Menschen legen und sie in eine Art Duldungsstarre versetzen. Ihr Text ist ein anmutig zarter, poetischer Widerstandsakt. Wenn Sprache Ballett tanzen könnte, dann wäre dieser Roman ein Tanz mit sehnsüchtig Liebenden, die in Pirouetten und Sprüngen umeinander herumschwirren.
"Lichtungen": Roman über Liebe und Freundschaft
Lev und Kato reisen durch Europa:
Kato skizzierte mit schnellen, suchenden Strichen ein Mädchen, das auf dem gegenüberliegenden Sitz eingeschlafen war. Sie hatte jeden Tag ihrer gemeinsamen Reise dokumentiert, Szenen festgehalten, die sie beobachtet, erlebt hatten, und manches Mal auch ihn: einen Mann mit ungewohnt langem Bart, lesend im Café, an einem Zeitungskiosk, an den Wagen gelehnt, eine Straßenkarte in der Hand. Lev suchte ihren Blick, doch der war zwischen Mädchen und Skizzenblock gefangen. Der Kohlestift schwärzte Papier, Finger und Handballen. Sie blätterte um, begann von Neuen. Es war unmöglich, sie in ihrer Versunkenheit zu stören. Leseprobe
In ihrer Kindheit war es ein Verbrechen, das Land zu verlassen. Das Leben wird beschrieben als unendlich scheinendes Warten auf das Ende der Diktatur. Aber als sie vorbei ist und die Grenzen geöffnet werden, dauert es viel länger als erwartet, bis die Menschen es mit Herz und Seele verstehen. Zumal es sich erweist, dass man Probleme, Hürden und Schwierigkeiten im Leben offenbar nur in ihrer Art und Schwere tauschen, nicht aber abstellen kann.
"Lichtungen" ist ein Roman über Liebe und Freundschaft, in dem äußerlich betrachtet wenig geschieht, aber viel in lesenden Köpfen.
Lichtungen
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Klett-Cotta
- Bestellnummer:
- 978-3-608-98770-6
- Preis:
- 24 €