Cover: Julia Phillips, "Cascadia“ © hanserblau

Roman "Cascadia": Eine Begegnung, die alles verändert

Stand: 29.07.2024 06:00 Uhr

Man lebt so vor sich hin - und dann taucht plötzlich ein Bär auf und verändert alles. Kurz runtergebrochen ist das die Prämisse des jetzt erscheinenden Romans "Cascadia" der Amerikanerin Julia Phillips.

von Danny Marques Marçalo

Dann blickte Sam aus dem Fenster, und da war ein Bär. Er hockte vor der Haustür, direkt vor dem Gehweg, und hatte den Blick abgewandt. Sein Rumpf war riesig, das Fell dicht, goldblond, braun und schwarz. (…) Jetzt drehte er sich um und die Schwestern schreckten vor dem Fenster zurück. Aber er war friedlich. (…) Ist das ein Traum?, flüsterte Elena. Leseprobe

Es ist kein Traum. Tatsächlich nähert sich ein Bär immer wieder dem Haus, in dem die Schwestern Sam und Elena, gemeinsam mit ihrer pflegebedürftigen Mutter leben. Und zwar auf einer Insel vor der Küste des Bundesstaates Washington im äußersten Nordwesten der USA. Fast Kanada. Es ist kein einfaches Leben, die Krankheit der Mutter bestimmt alles, Sam und Elena müssen fast ununterbrochen in schlecht bezahlten Jobs arbeiten.

Seltsame Anziehungskraft

Der Roman schildert diese triste Situation vor allem aus Sams Perspektive. Es ist grau und fühlt sich beim Lesen ähnlich nasskalt an, wie es sich im Pacific Northwest, wie die Region genannt wird, oft anfühlt. Der Bär schreckt die Monotonie auf. Vor allem Elena fühlt sich seltsam angezogen vom Tier, was Sam verärgert:

"Es war krass", sagte Elena. "Ich war am Fenster und er war direkt vor mir (…)" Sam war schleierhaft, wie ihre Schwester ans Fenster hatte gehen könnten. (…) "Du warst am Fenster?", fragte sie. Elena nickte vor lauter…war das etwas Begeisterung? Elenas Euphorie war mehr als verstörend. (…) "Hattest du keine Angst?" - "Mein Gott! Na klar hatte ich Angst." Leseprobe

Sam beobachtet, wie Elena immer angstfreier im Umgang mit dem Bären wird. Die Begegnungen werden enger. Das ist nicht ausreichend überzeugend geschildert.

Julia Phillips verarbeitet die Corona-Pandemie

Autorin Julia Phillips habe ihre Erfahrung mit der Corona-Pandemie verarbeiten wollen. Die Angst vor dem Rausgehen und der Gefährlichkeit einer natürlichen Urgewalt. In der Realität ein Virus, im Buch ein Bär. Es gehe auch um ihre Erfahrungen als Schwester, erzählte sie kürzlich in der Late Night Show von Seth Meyers: "Man teilt sein Leben mit jemandem, der dir näher ist als jeder andere. Und dennoch sind wir nicht derselben Meinung. Deine Realität ist nicht meine Realität. Als meine ältere Schwester erwachsener wurde und sich von mir wegentwickelte, das war ein sehr schwieriger Moment für mich."

Durch den Bär erkennt Sam im Roman, dass die Träume und Pläne, die Elena und sie hatten, keine gemeinsamen sind. Sam will raus, in die große Stadt, ins Leben. Elena fühlt sich eigentlich ziemlich wohl im Dörflichen der Insel.

"Cascadia": Stimmungsvoll, aber unglaubwürdig

"Cascadia" hat einige Glaubwürdigkeitsprobleme. Da wäre der Bär, da wäre aber auch die Schilderung des finanziell prekären Lebensstils der Familie. Wirklich arm wirken die Schwestern nicht. Und auch die Naivität, mit der die erwachsene Sam auf ihre Beziehung zur Schwester blickt - dafür ist sie mit Mitte 20 eigentlich zu alt. Stellenweise ärgert man sich beim Lesen richtig. "Cascadia" ist stimmungsvoll geschrieben, aber glaubhaft und einleuchtend wird diese Geschichte nicht erzählt.

Cascadia

von Julia  Phillips
Seitenzahl:
272 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Aus dem Amerikanischen von Sylvia de Hollanda und Roberto de Hollanda
Verlag:
hanserblau
Bestellnummer:
978-3-446-28153-0
Preis:
23 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 29.07.2024 | 12:40 Uhr

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Romane

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