Roman "Bis der Fluss taut": Nichtssagender Wildnis-Kitsch
Das schmale Bändchen "Bis der Fluss taut" ist leider so flach und gefühlsverklebt, dass es beinahe wehtut. Gabrielle Filteau-Chibas Sprache gleicht schlimmen Vorabendserien.
Ein Buch "wie der erste Atemzug an einem eisigen Wintermorgen", verspricht der Verlag von "Bis der Fluss taut" von Gabrielle Filteau-Chiba. Die kanadische Autorin, die als Naturkämpferin die Wildnis Québecs verteidigt, hat damit ihren ersten Roman geschrieben, der schon in mehrere Sprachen übersetzt wurde.
Aus der Großstadt in die Wildnis
Oh Wildnis! Oh schneebedeckte Wälder! Anouk lebt es vor, sie macht den Schritt aus der Großstadt Montréal in die kanadische Natur, nach Kamouraska am Sankt-Lorenz-Strom. Mitten im klirrend kalten Winter. Es sind perfekte Trigger-Wörter für eine muckelige Tasse Tee unter der Lammfelldecke daheim.
Anouk steht ihre Frau, hackt Holz, holt sich Wasser aus dem beinahe zugefrorenen Fluss, während entfernt - der Klang der sogenannten Zivilisation - täglich ein Zug vorbeirattert.
Um punkt vier Uhr ertönt in der Ferne der schrille Schrei einer Lokomotive, die sich über die Schienen quält. Güterwagen voll Bitumen rattern mit Volldampf von Küste zu Küste, und der schwarze Zug des Fortschritts trübt meine Träume. Leseprobe
"Rurale Feministin" trifft auf Öko-Aktivisten
Gabrielle Filteau-Chiba versteht wohl ihren schmalen Band, ihr "Tagebuch aus der Wildnis", als literarischen Urenkel von Thoreaus Klassiker "Walden", diesem ersten Aussteigerbuch, diesem trotzigen Pamphlet vom zivilen Ungehorsam: raus aus den Zwängen, dem Stress der Leistungsgesellschaft. So verbrennt Anouk ihren schmerzenden BH mit den "Folterbügeln" und rasiert sich die Beine nicht mehr. Sie sieht sich als "rurale Feministin". Was der wackeren Einsiedlerin fehlt, ist ein Kerl.
Ich male mir aus, wie das einzige männliche Wesen weit und breit meinen Spuren bis zur Hütte folgt und ich ihn zu meinem Geliebten mache. Ihn festbinde, um meinen wölfischen Hunger an ihm zu stillen. Komm, damit ich dich zähmen, dich mit Haut und Haaren fressen kann. Schreiben wir ratzfatz Rotkäppchen neu. Leseprobe
"Ratzfatz" klopft er da auch schon an ihre Tür, der wilde Mann mit schwarzer Mähne und Bart, natürlich nass bis auf die Knochen, was einen Kleiderwechsel am warmen Ofen nötig macht - die Klischee-Fantasie für enthemmten Hüttensex. Offenbar ist er auf der Flucht, da die Helikopter schon über Anouks Zuflucht kreisen. Der Mann entpuppt sich als Öko-Aktivist, der den besagten Zug zum Entgleisen gebracht hat, um die Zerstörung der Natur zu bremsen. Schließlich siegt aber erst mal die Lust.
Ich bin eine Blüte, eine Feder, ein Blatt im Wind. Dein Atem an meinem Hals, dein Mund auf meinem Schlüsselbein, deine Lippen, die zwischen meinen Brüsten hinabwandern, gefolgt von deiner kohlschwarzen Mähne. Feuer zwischen meinen Beinen. Leseprobe
"Bis der Fluss taut": flach und gefühlsverklebt
Dieses schmale Bändchen ist leider so flach und gefühlsverklebt, dass es beinahe wehtut. Gibt es neben Arztromanen auch die Kategorie Wildnis-Kitsch? Die Sprache gleicht schlimmen Vorabendserien, die Eiseskälte der Natur nur Staffage, um die Glut des weiblichen Kämpferinnenherzens zu betonen. Riopelle, der schöne Öko-Aktivist mit Sexappeal, wird weiterfliehen. Aber Anouk hat nun wieder einen Auftrag im Leben. Gabrielle Filteau-Chiba posaunt ihn am Ende dieses nichtssagenden Buchs in die Welt:
Endlich hatte ich den Sinn in meinem Leben als rurale Feministin erkannt: mich dem Schutz der Natur zu verschreiben, mit Leib und Seele. Der fruchtbare Frühling war nicht mehr weit. Leseprobe
Bis der Fluss taut: Tagebuch aus der Wildnis
- Seitenzahl:
- 112 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Französischen von Katrin Segerer
- Verlag:
- dtv
- Bestellnummer:
- 978-3-423-29027-2
- Preis:
- 20 €