Rolf Tietgens - Poet mit der Kamera
Er ist einer der bedeutendsten Fotografen der 30er-Jahre, seine Bilder hängen im Museum of Modern Art in New York, erschienen in der "Vogue" und "US Camera". Zu seinem Tod titelte die New York Times "Poet mit der Kamera": Rolf Tietgens, ein Hamburger Fotograf - in den USA ein Star, hierzulande nur Kennern ein Begriff. Jetzt erschien die erste deutschsprachige Publikation über ihn. Eva-Maria Lemke stellt dieses "Bildschöne Buch" vor.
Schon beim ersten Durchblättern dieses Fotobands wird klar: Rolf Tietgens war ein rastloser Fotograf. Hopi-Indianer, überirdisch schöne Frauen, mexikanische Ödnis und New Yorker Trubel: Es sind Bilder eines Reisenden und je genauer man hinsieht, umso mehr man liest, auch Bilder eines Flüchtenden. Die erste Flucht von vielen: Die aus dem Schoß der begüterten Reederfamilie im Hamburg der 30er-Jahre.
Buchzitat:
(Rolf Tietgens:) "Die Familie hat mir eine Moralpredigt gehalten, ich solle nun endlich einen'"vernünftigen' Beruf ergreifen, der eines Mannes würdig sei, und nicht fotografieren und filmen."
Die Poesie des Alltags
Tietgens bleibt unvernünftig: zum Glück. Seine Bilder vom Hamburger Hafen erzählen in scharfen Kontrasten von einer untergegangenen Halbwelt. Zwischen exotischen Kneipen, Kaffeesack-Türmen und Kurbelkränen schärfte Rolf Tietgens seinen Blick für die Poesie des Alltags.
Buchzitat:
"Er ist kein Dokumentarist, ihn interessieren die Dinge nicht um ihrer Selbst willen, und um eine Wiedergabe. Er versucht die Dinge, abzubilden auch halbwegs realistisch. Aber immer deutlich zu machen: Was hab ich daran erlebt?"
Lebensthema: Flucht
Eckhardt Köhn hat Tietgens wiederentdeckt, das erste deutschsprachige Buch über ihn verfasst: "Der Poet mit der Kamera" ist kein reiner Bildband, es verfolgt auch Tietgens Lebensweg. So etwa die zweite große Flucht seines Lebens: Der Homosexuelle floh 1938 vor der Verfolgung der Nationalsozialisten nach New York.
Buchzitate:
"Hier bin ich also in Amerika und bin selig darüber." (...) "Langsam merke ich wie der furchtbare Druck von mir weicht, dass ich wirklich leben darf - auch in persönlicher Beziehung." (...) "In New York ist jetzt übrigens alle Welt: Thomas Mann ist nach Princeton übergesiedelt."
(Eckhardt Köhn:) "Er hat dann einen enormen Start in New York gehabt - er hat gleich in 'US-Camera' Fotos publizieren können und er hatte auch gleich schon zwei größere Ausstellungen in New York. Also mit der Fotografie waren die Bedingungen für einen jungen Mann besser als für die Schriftsteller im Exil, die auf die Sprache angewiesen waren."
Von Bildern gefangen
Tietgens wird in New York zum erfolgreichen Mode- und Reklamefotograf, sein Herz aber schlägt für die Avantgarde: surrealistische Stillleben, eigentümliche Doppelbelichtungen. Doch so etwas verkauft sich nicht. Tietgens flüchtet ein drittes Mal: Er gibt die Fotografie auf und zieht sich zurück.
Buchzitat:
(Rolf Tietgens:) "Ich fühle mich gefangen in meinem Appartement umgeben von Tausenden Bildern und Negativen. Sie kriechen die Wände hoch wie Giftefeu - erinnern mich immer an meine Vergangenheit."
Rolf Tietgens starb 1984 - nur kurz kehrte der Fotograf noch nach Hamburg zurück, an sein Leben vor dem Krieg konnte er nicht anknüpfen, resümiert sein Biograf Eckhardt Köhn.
Buchzitat:
(Eckhardt Köhn:) "Er ist so eine Art verlorener Sohn des Hamburger Bürgertums. Er ist durch die Herkunft und die Prägung und das fotografische Werk sehr mit Hamburg verbunden und ich bin überzeugt; er ist einer der bedeutendsten Hamburger Fotografen des 20. Jahrhunderts."
Hamburg hat Tietgens lange vergessen. Es ist an der Zeit, ihn zu wiederzuentdecken - mit diesem Bilderbogen seines traurig-schönen Lebens.
Rolf Tietgens - Poet mit der Kamera
- Seitenzahl:
- 382 Seiten
- Genre:
- Bildband, Sachbuch
- Verlag:
- Graue Edition, 382 Seiten / 210 Abb.
- Bestellnummer:
- 978-3-906336-57-2
- Preis:
- 48,00 €