von Anke Jahns

Die Geschichte ist nahezu unglaublich: Die Nazis hassten den Jazz, er galt für sie als entartete Musik und dennoch gründeten sie 1940 auf Beschluss von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels eine Big Band, die für den deutschen Auslandsradiosender "Germany Calling" Jazzmusik mit Nazi-Texten in britische Wohnzimmer spielte. Demian Lienhard hat aus diesem historischen Stoff den Roman "Mr. Goebbels Jazz Band" gemacht.

Fake News für die Briten

Lord Haw Haw - die Stimme des Nazisenders - ist eine der beiden Hauptfiguren in dem Roman. Ein englisch-irischer Kollaborateur, William Joyce, der sich in Deutschland Wilhelm Fröhlich nannte. Der glühende Faschist verkündete für den Auslandssender Kriegsnachrichten für die Briten, die den Sender über Kurzwelle empfingen. Fake News von Lord Haw Haws umgetexteten Jazzstandards.

Besonders oft versuchte William Joyce, den britischen Premier Winston Churchill in den Texten lächerlich zu machen, wie etwa in dem Stück "Alone": "Why listen to old Churchill - who never hold a gun. He'd rather sit back, or run, or run." Warum sollte man auf ihn hören, er habe nie eine Waffe in der Hand gehalten, solle sich lieber zurücklehnen oder laufen, oder laufen.

Aus realer Geschichte wird leichtes Verwirrspiel

Demian Lienhard greift die Geschichte der Jazzband auf, die von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels angeordnet worden war, eigens gegründet für die Front im Äther. "Affentheater" und "Buschmusik" für die Alliierten, so das Nazivokabular im Roman.

Die Engländer mochten vielleicht ihr Brudervolk sein, aber es war eben der alkoholkranke, raufsüchtige, verzogene und verweichlichte Bruder, der keine Kultur als die der Gosse kannte. Klassische Musik für England sei deshalb sozusagen Perlen vor die Säue, während umgekehrt Jazz geradezu für Schweine gemacht sei. Leseprobe

Für den perfiden Plan, die Briten mit Jazz zu ködern, wurden die besten Instrumentalisten gesucht für "Charlie and his Orchestra" - die Big Band versammelte ab 1940 auch Juden, Homosexuelle und Musiker mit problematischen Papieren. Bis hierher stützt sich der Roman "Mr. Goebbels Jazz Band" auf die historischen Fakten. Demian Lienhard verwandelt dann aber die reale, dunkle Geschichte in ein leichtes, manchmal schwulstig-zotiges Verwirrspiel.

Die Radio-Propaganda soll zum Sieg beitragen

Lord Haw Haw, die Stimme von Germany Calling, heuert im Roman des Schweizers einen Schriftsteller an, Fritz Mahler, ebenfalls ein Schweizer, der zur zweiten Hauptfigur wird. Mahler soll die Erfolge von Charlies Jazzband dokumentieren, und Lord Haw Haw erklärt ihm, was herauskommen muss.

Man erhoffe sich, dass Mahlers Roman beim Volk dereinst der Überzeugung zum Durchbruch verhelfen werde, dass die deutsche Radiopropaganda mindestens ebenso viel zum Sieg (der ohnehin nur noch eine Frage der Zeit sei) beigetragen habe wie Bombergeschwader, U-Bootflottillen oder Panzerverbände. Leseprobe

Mahler, der die Nazi-Propaganda durch die Jazzband in eine literarische Lobeshymne gießen soll, sitzt in der Falle. Er hat keine Idee, wie er den Auftrag erfüllen kann, verzettelt sich in seinen Recherchen über Uhrzeiten, Adressen, Gagen, Wetter, Musik - ist nahezu besessen von Details.

Demian Lienhard hinterfragt das Wesen von Auftragskunst und Fake News

Genau wie sein Protagonist, der Autor Mahler, macht es Demian Lienhard in seinem Roman "Mr. Goebbels Jazz Band": Die Musiker werden zu Beiwerk, er verwirrt mit der Vermischung von Fakten, Ausschmückung von Tatsachen und Fiktion, hinterfragt so das Wesen von Auftragskunst und Fake News.

In zwei Nachworten treibt Lienhard die Geschichte auf die Spitze in einem wahnwitzigen Finale. So viel sei verraten: Das ist brillant!

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