"Krieg": Dieser lange verschollene Roman haut einen um
Der posthum erschienene Roman "Krieg" von Louis-Ferdinand Céline hat 2022 in Frankreich - um im Bild zu bleiben - eingeschlagen wie eine Bombe. Das Antikriegsbuch ist keine leichte Kost, aber mitreißend.
Dieser Roman haut einen um. Schonungslos nimmt uns das Alter Ego des Autors, der Soldat Ferdinand, mit dorthin, wo es stinkt, qualmt und weh tut: auf ein Schlachtfeld des Ersten Weltkrieges.
Ich hab dann wohl doch noch einen Teil der folgenden Nacht so dagelegen. Das linke Ohr fest an den Boden geklebt mit Blut, den Mund auch. Zwischen beiden gewaltiger Lärm. Ich schlief inmitten dieses Lärms, und dann fing es an zu regnen, ein richtig dichter Regen. Kersuzon neben mir war sackschwer unter dem Wasser hingestreckt. Ich bewegte einen Arm auf seinen Körper zu. Hab angefasst. Mit dem anderen ging es nicht mehr. Wusste nicht mal, wo der war, der andere Arm. Leseprobe
Ferdinand, den Arm verletzt, eine Kugel im Knochen hinterm Ohr, schleppt sich in ein Lazarett. Was folgt, ist kein Kriegsdrama, sondern die groteske Geschichte seiner Genesung; sind absurde Begegnungen zwischen den Versehrten und ihren Pflegerinnen. Und sie alle sind im Ausnahmezustand.
Der Krieg hat mich im Kopf erwischt. Er ist in meinem Kopf eingesperrt. Leseprobe
Louis-Ferdinand Céline: Antisemit und Nazi-Kollaborateur
Dieser Roman "Krieg" hat - um im Bild zu bleiben - in Frankreich eingeschlagen wie eine Bombe. Denn er gehört zu einer Reihe von Manuskripten, die jahrzehntelang als verschollen galten. Der Autor Louis-Ferdinand Céline, ein fanatischer Antisemit und Nazi-Kollaborateur, hatte sie Anfang der 40er-Jahre auf der Flucht nach Deutschland in seiner Pariser Wohnung zurücklassen müssen. Danach waren sie unauffindbar - bis im Sommer 2021 ein Journalist enthüllte, man habe ihm die Manuskripte schon Anfang der 80er-Jahre zugespielt mit der Auflage, das Geheimnis erst nach dem Tod von Célines Frau Lucette Destouches zu lüften.
"Im Sommer 2021 waren wir alle völlig überrascht und angefixt von diesen neuen Manuskripten", sagt einer der renommiertesten Céline-Kenner Frankreichs, der emeritierte Literaturprofessor Henri Godard. Für Godard, der mit einer Jüdin verheiratet ist, bleibt der Antisemit Céline einer der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts: "Man muss die Literatur so sehr lieben, dass man die Dinge voneinander trennen kann. Céline hat die französische Prosa revolutioniert. Er hat das gesprochene Wort nachgeahmt, Gossensprache verwendet, eine derbe Sprache - auch was Sexualität anbelangt. Er liebte es zu schockieren, jenseits dessen, dass er seinen Stil über die Jahre immer mehr verfeinert hat."
"Dieser Roman ist das Tor, um Céline zu verstehen"
Das Manuskript zu "Krieg", ein vom Verlag erfundener Titel, wurde im Jahr 1934 verfasst; einige Blätter fehlen; es sei ein Wrack, das noch nicht die Perfektion späterer Werke erreiche, sagt Godard. Verleger Antoine Gallimard hingegen findet: "Dieser Roman ist das Tor, um Céline zu verstehen. Denn er handelt vom Krieg, vom Tod - Themen, die Céline immer bewegt haben. Aber es gibt auch diese Nähe von Tragik und Komik."
Die schöne gebundene Ausgabe des Rowohlt-Verlags umfasst rund 170 Seiten; mit einem spannenden und klugen Vorwort von Romanist Niklas Bender, das einem hilft, sich diesem Louis-Ferdinand Céline zu nähern, der bis heute so begeistert und so schockiert. Als Mensch wie als Schriftsteller.
Krieg
- Seitenzahl:
- 192 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
- Verlag:
- Rowohlt
- Bestellnummer:
- 978-3-498-00356-2
- Preis:
- 24 €