"Kleine Probleme": Eine meisterhafte Attacke auf das Zwerchfell
Nele Pollatscheks "Kleine Probleme" ist nicht nur ein höchst präzise gearbeiteter Slapstick-Roman mit einer überraschenden Pointe, sondern auch eine philosophische Studie der Prokrastination.
Diesem Roman verdanke ich einige blaue Flecken - so oft bin ich vom Sofa gefallen vor Lachen. Nele Pollatschek ist eine Tiefenpsychologin der Prokrastination - die Pathologen gern als das pathologische Aufschieben von Handlungen definieren -, und dies ist das äußerst vergnügliche, aber für die Abarbeitung anstehender Aufgaben hinderliche und die Bauchmuskeln extrem strapazierende Handbuch dazu. Aber von vorn.
Ein Mann zweifelt an seiner Existenz
Ein Mann, verstrickt in den Ellipsen seines Seins, zweifelnd an sich und seiner Existenz, ist 49 Jahre alt, zwei Kinder, eine Frau, die derzeit verreist ist. Er heißt Lars. Es ist der 31. Dezember, und der Mann muss tun, was ein Mann tun muss.
(…) und dann fängt man eben beim Wetter an, weil das ein Anfang ist, und gerade am Anfang muss man es sich einfach machen, denn, das weiß man, aller Anfang ist schwer, und, das weiß man auch, Mitten sind noch viel schwerer, (...) Leseprobe
Vor allem, wenn ihn seine Liebste verlassen hat. Johanna ist nach Lissabon gereist. Die Kinder sind längst aus dem Haus. Lars liegt allein in seinem leeren Einfamilienhaus, Pizza-Kartons um ihn herum und volle Aschenbecher sowie verschütteter, gut gezuckerter, kalter Kaffee.
Eine To-do-Liste, bei der man Tränen lacht
Es war Freitag, der 31. Dezember, und ich musste noch was erledigen. Also alles. Leseprobe
Also schreibt Lars sich von eins bis 13 eine Liste.
Es ist natürlich vollkommen unmöglich, alles an einem einzigen Tag zu schaffen. Leseprobe
Und seine philosophischen Überlegungen wie deren mäandernde Ausführungen packen uns mit donnernden Lachsalven, dass die Tränen fließen. Beispielsweise beim Aufbau von - Punkt zwei - Linas Bett:
Die Pleumel waren der Fixpunkt, an dem sich durch die in den Plodden vorgebohrten Arzen ein Knülp befestigen ließ. Die Niezen sollten überhaupt nichts halten, nicht mal die Pleumel oder die Knülpe. Leseprobe
Natürlich scheitert Lars grandios an der Gebrauchsanleitung des Kaufhauses mit den grimmigen kleinen Männchen, das sich auf Korea reimt.
Es war eben genau das Zusammenspiel der unterschiedlichen, in sich ungenügenden Elemente, das dem Ganzen Halt geben sollte, und ich glaube, da ist eine tiefe Wahrheit drin über die menschliche Existenz oder zumindest eine mitteltiefe. Leseprobe
"Kleine Probleme": Slapstick-Roman mit überraschender Pointe
Und so geht das weiter über - Punkt sieben - Nudelsalat:
Ich bin ein herausragender Koch. Leseprobe
Bis zu der Sache mit der Sucht:
Wir nehmen die Packung in die Hand und achten nicht auf das Bild vom amputierten Bein, vom Mundhöhlentumor, von der teerschwarztoten Lunge. Leseprobe
Und weil dies nicht nur ein höchst präzise gearbeiteter Slapstick-Roman mit einer überraschenden Pointe ist, sondern auch eine philosophische Studie der Prokrastination, bringt Nele Pollatschek diesen Auslöser unser aller Probleme ebenfalls auf den Punkt:
Rauchen ist Zen-meisterhafte Ignoranz. Und deswegen stehen Raucher auch immer zusammen, wie Mönche und Freikirchler, eine eingeschworene Gemeinde, vielleicht die demütigste, denn es ist doch ein sehr eifersüchtiger Gott, der jeden Tag zwanzig oder dreißig, in Wahrheit dann doch oft vierzig Devotionalien verlangt. Leseprobe
Eine meisterhafte Attacke auf das Zwerchfell ist dieser innere Monolog und eine minutiöse Analyse von Momenten wirbelnder Verzweiflung unter dem Mikroskop.
Kleine Probleme
- Seitenzahl:
- 208 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Galiani
- Bestellnummer:
- 978-3-86971-240-6
- Preis:
- 23 €