"Katja": Wiederentdeckte Texte von Brigitte Reimann
Mehr als 50 Jahre nach dem frühen Tod von Brigitte Reimann gibt es neue Texte zu entdecken. "Katja" sammelt bislang noch nie in Buchform veröffentlichte Erzählungen von Reimann über Frauen.
Zu ihren Lebzeiten war Brigitte Reimann eine der schillerndsten Schriftstellerinnen in der DDR. Als die Autorin 1973 mit 39 Jahren an Krebs starb, hinterließ sie einige wichtige Romane, in deren Mittelpunkt meist Frauen standen, denen es um Gleichberechtigung ging. Ihr bekanntester Roman "Franziska Linkerhand" wurde unvollendet erst nach ihrem Tod veröffentlicht.
"Katja" hilft, Brigitte Reimann besser zu verstehen
Unveröffentlichte frühe Erzählungen von unterschiedlicher literarischer Qualität - was hätte Brigitte Reimann selbst zu diesem Buch gesagt? "Das weiß man nicht genau", meint Herausgeber Carsten Gansel. "Brigitte Reimann hat schon sehr früh bei einigen Texten gesagt, dass sie die verstoßen hat wie fremde Kinder. Angesichts der Tatsache, dass ihr Werk ja nun inzwischen wieder gelesen wird, wäre sie glaube ich doch einverstanden gewesen."
Literaturwissenschaftler Gansel hat im vergangenen Jahr die erste große Biografie über Brigitte Reimann vorgelegt. Als Herausgeber ihrer frühen Erzählungen über Frauen leistet er nun einen Beitrag, die faszinierende Autorin und ihr Werk noch besser zu verstehen. Es wird deutlich, wie sehr sie das Thema Gleichberechtigung schon als junges Mädchen umgetrieben hat.
"Reifeprüfung" zeigt Kritik an DDR-Verhältnissen
Die Erzählung "Reifeprüfung" ist 1952 entstanden, da hatte Brigitte Reimann gerade das Abitur gemacht. Es geht um ein Mädchen, das schwanger wird und völlig auf sich allein gestellt ist. Der sogenannte Abtreibungsparagraf ist Anfang der 50er-Jahre in der DDR noch nicht außer Kraft gesetzt, der Arzt darf keine Unterbrechung der Schwangerschaft vornehmen, er steckt in einem Dilemma.
Nein. Sie ist nicht reif genug. Mach dir nichts vor, du bist Arzt. Du weißt doch ganz genau, dass sie zu jung ist und dass ein rechtzeitiger Eingriff zehnmal besser ist als eine Geburt, die der Gesundheit des Mädchens dauernden Schaden zufügen kann.
Der Text zeigt Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen 1952. Die 18-jährige Brigitte Reimann präsentiert sich in dieser und den folgenden Erzählungen als moderne Schriftstellerin.
Muss die DDR-Literaturgeschichte umgeschrieben werden?
Die Leistungen von Männern und Frauen mit gleichem Maßstab zu messen und zu honorieren, darum geht es ihr auch in der titelgebenden Erzählung "Katja" von 1953. Katja liebt ihre Arbeit am Theater, ihr Freund, ein angehender Arzt will aber, dass sie diese aufgibt. Doch wie die Autorin geht auch Katja ihren eigenen Weg. Die beiden werden sich trennen. Die Erzählung hat Brigitte Reimann im Alter von 20 Jahren geschrieben. Für Herausgeber Gansel, der in Neubrandenburg lebt, wie die Schrifstellerin in ihren letzten Lebensjahren, ist fasziniert, über welche handwerklichen Mittel sie da schon verfügte.
Bislang galt Christa Wolfs "Nachdenken über Christa T." von 1968 als Geburtstunde der neueren Literatur in der DDR. Aus Gansels Sicht muss das korrigiert werden: "Dass Brigitte Reimann schon Mitte der 50er-Jahre das Formenarsenal der literarischen Moderne beherrscht und dass sie damit zehn Jahre früher als Christa Wolf experimentiert und Geschichten erzählt, die bis in die kleinsten Verästelungen der weiblicher Psyche vordringen. Sie zeigt auch in einem der Texte eine absolut selbstbewusste Frau."
Frühe DDR-Geschichte besser verstehen
Es ist die Dreiecksgeschichte "Ich werde in dieser Nacht allein sein" - eine der stärksten Erzählungen des Bandes. Darin geht es um sexuelle Selbstbestimmung und den Tod, wobei der Bewusstseinsstrom als literatrisches Mittel überzeugt. Hier rückt Brigitte Reimann von der realistischen Erzählweise der meisten anderen Geschichten ab - eine Short Story, die voller Poesie steckt. "Das Tragische liegt darin, dass der Literaturbegriff in der damaligen DDR schlichtweg noch nicht so weit war", meint Gansel. "Dieser Text gefiel zunächst durchaus den männlichen Lektoren, aber ist dann durchgefallen, weil die dann meinten, es sei etwas Morbides, was man so in dieser Form gegenwärtig nicht drucken könne."
Es ist ein Glück, dass Carsten Gansel diesen Schatz aus dem Archiv gehoben hat. Mit ihren frühen Erzählungen über junge Frauen in der jungen DDR hat Brigitte Reimann auch heute viel zu sagen. Es sind Originalansichten einer mutigen Autorin, die die frühe DDR Geschichte verstehen lassen.
Katja
- Seitenzahl:
- 235 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Aufbau
- Bestellnummer:
- 978-3-351-03989-9
- Preis:
- 22 €