"In den Bäumen blühen Steine": Cees Nooteboom spielt mit der Zeit
"In den Bäumen blühen Steine" ist das Bekenntnisbuch eines alten weisen Mannes, der in der Begegnung mit einem anderen Künstler seine eigenen Grenzen neu kennenlernt und dadurch auf wundersame Weise wieder jung wird.
"Wer das Anschauen nicht bricht, sieht nichts." So heißt es einmal in einem Gedicht des niederländischen Schriftstellers Cees Nooteboom. Und diese Zeile könnte auch als Motto seinem neuen Buch "In den Bäumen blühen die Steine" voranstehen. Darin setzt er sich mit dem Werk des italienischen Künstlers Giuseppe Penone auseinander. Ganz nebenbei ist dieses Buch auch ein Geburtstagsgeschenk, das Nooteboom seiner Leserschaft und sich selbst gemacht hat. Denn der Mann mit dem besonderen Blick auf die Welt wird heute 90 Jahre alt.
Giuseppe Penone, der begeisterte Fan von Cees Nooteboom
Es begann im Juli des vergangenen Jahres. Im Museum Voorlinden in Wassenaar bei Den Haag wurde gerade eine große Ausstellung des italienischen Künstlers Giuseppe Penone vorbereitet. Und Penone hatte als begeisterter Leser der Gedichte von Cees Nooteboom den Wunsch geäußert, ihn bei dieser Gelegenheit wiederzusehen. Denn einmal waren sie sich bereits begegnet. Wo genau, dazu erzählen beide jedoch unterschiedliche Geschichten. Aber das ist nicht wichtig.
Manchmal geschieht so etwas, man hat Dinge in aller Unschuld geschrieben, und Jahre später hat ein italienischer Bildhauer sie gelesen und einen Zusammenhang mit dem entdeckt, was er selber macht. Das verwundert einen und macht einen froh. Die Gedichte waren zu lange allein geblieben. Leseprobe
Nooteboom beginnt, sich mit dem Werk Penones auseinanderzusetzen. Penone, der lange schon ein international anerkannter Künstler ist und mehrmals auf der Documenta vertreten war, überall auf der Welt seine Skulpturen aus Holz und Steinen hinterlassen hat, schickt ihm Bücher und Ausstellungskataloge. Und ganz allmählich, während der alltäglichen Verrichtungen in seinem Haus auf Menorca, wo Nooteboom seit vielen Jahren sehr viel Zeit verbringt, beginnen die Bilder Penones in ihm zu wirken. Sie verändern seinen Blickwinkel auf die Umgebung, auf die Pflanzen und Bäume in seinem Garten:
Der Riese ist ein Kaktus mit nur einem Stamm, obwohl das bei Kakteen nicht so heißt. Er überragt mich inzwischen bei Weitem. (…) Alles, was ich machen kann, sind Bücher oder Gedichte. Haben sie Ähnlichkeit mit meinen Kakteen? Was geschieht, wenn man ein Gedicht pflanzt? Leseprobe
Cees Nootebooms melancholische Selbstbefragung
Cees Nootebooms poetische Prosa verwandelt sich im Laufe der Lektüre in eine melancholische Selbstbefragung. Da blickt ein 89-jähriger Mann, der sein ganzes Leben dem Schreiben gewidmet hat, voller Zweifel auf das eigene Tun.
Schriftsteller, habe ich mal gesagt, gehören zu den kleinen Raubtieren. Sie werden von einem Satz getroffen, von einem Bild, und machen sich damit aus dem Staube. Leseprobe
Nur macht sich Nooteboom diesmal nicht aus dem Staub. Er schaut ganz genau hin, beschreibt uns Penones Bilder, die er im Buch mit aufgenommen hat, in allen Details, und daraus entstehen dann aphoristische Einsichten:
Wenn man lange genug lebt, kann man auch mit der Zeit spielen, sich in der Vergangenheit eines anderen einnisten. Leseprobe
Die Kunst zu verstehen, so zeigt sich bei Nooteboom sehr deutlich, ist genauso ein unmögliches Unterfangen, wie das Leben zu verstehen. Zum Ende hin fragt er sich:
Habe ich alles verstanden? Nein, allerdings auf dieselbe Weise, wie ich manchmal meine eigene Lyrik nicht verstehe und es mir passieren kann, dass ich eine Weile brauche, bevor ich weiß, was genau ich da gesagt habe. Leseprobe
Das seltsame Gefühl der Eifersucht
"In den Bäumen blühen Steine" ist das Bekenntnisbuch eines alten weisen Mannes, der in der Begegnung mit einem anderen Künstler seine eigenen Grenzen neu kennenlernt und dadurch auf wundersame Weise wieder jung wird. Oder ist Eifersucht nicht ein Privileg der Jugend?
Warum eifersüchtig? Weil jemand spielt. Ist das alles? Nein, weil er gleichzeitig etwas herausfindet, (…) weil er dabei ist, eine Philosophie zu entwickeln, aber das mit Händen und Augen tut (…). Schreiben ist natürlich auch eine Handlung, bei der gedacht wird. Aber, dumm gesagt, es ist Denken ohne Baum. Es geht ohne Ding vor sich, ein Spiel ohne Spielzeug. Deshalb bin ich eifersüchtig. Leseprobe
Dabei gibt es keinen Grund für diese Eifersucht. Auch mit diesem Buch schenkt uns Cees Nooteboom eine weitere seiner Meditationen über das Leben. Er braucht dafür weder Stein noch Holz. Als einen "Mann, der Bäume verzaubert" bezeichnet er Penone einmal. Nooteboom darf sich an seine Seite gesellen, als ein "Mann, der Menschen verzaubert". Was nun allerdings besser ist, sei dahingestellt.
In den Bäumen blühen Steine - Die erdachte Welt von Giuseppe Penone
- Seitenzahl:
- 107 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen
- Verlag:
- Suhrkamp
- Bestellnummer:
- 978-3-518-43155-9
- Preis:
- 24 €